"Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben" heißt ihr Buch. Ältere Frau meets jüngeren Mann - noch immer ein Klischee, das sich schwerer tut als das umgekehrte. Die Buch- und Drehbuchautorin Anika Decker spricht mit ntv.de darüber, wie unwichtig das Alter ist, Sonne, Frauen, Männer, Til Schweiger, Mitte, Grunewald und alles dazwischen. Dieses Buch hat alles - zwischen wirklich sehr lustig und auch deep. Anika Decker bei einer Lesung zu beobachten, wenn sie ihr eigenes Buch vorliest und sich an einigen Stellen selbst ein wenig beömmeln muss, das ist köstlich. Sie zu treffen ebenfalls, denn vollkommen unprätentiös, geerdet und voller Mutterwitz verläuft dieses Gespräch in einem Café in der hippen Berliner Torstraße. Und obwohl wir uns über den winzigen Tisch fast anbrüllen müssen, weil die Instagram-Braut am Nebentisch mit Kopfhörern dermaßen laut in ihren Laptop sendet (sie könnte in Deckers Buch eine der Hauptrollen spielen), ist es einfach nur schön, mit der Autorin und Til-Schweiger-Bezwingerin einen wirklich guten Kaffee und Kokoswasser zu konsumieren. ntv.de: Bei deiner Lesung neulich, bei der ich dich kennengelernt habe, hat mir neben deinem Buch auch ganz besonders gefallen, dass es dir selbst solch einen Spaß zu machen scheint, dein eigenes Buch zu lesen. Anika Decker: (lacht) Eigentlich bin ich ja eher bis zu einem gewissen Grad scheu. Aber eine Lesung wie neulich beim Writers' Thursday ist auch ein Gemeinschaftserlebnis. Wenn ich merke, dass das Publikum an einer bestimmten Stelle lacht, dann ist das so eine merkwürdige Art des Sichverstandenfühlens. Dann registriere ich, dass die anderen die Figur wohl gerade zu fassen bekommen, und das freut mich, dann muss ich lachen. Und wie viel Anika Decker ist in der Figur, die man zu fassen bekommt? Ich bin ja eine wirklich weirde Mischung aus intro- und extrovertiert. Und weil die Schüchternheit überwiegt, denke ich als Erstes in Form einer neuen Figur, wenn ich ein Buch beginne. Aber natürlich steckt in so einem Buch überall ganz viel von mir drin. Wie gesagt, mir macht es am meisten Spaß, mir eine Figur auszudenken. Ganz oft sitze ich irgendwo, gerne in Mitte, aber auch in Grunewald ... ... in beiden Bezirken Berlins ist dein Buch ja größtenteils angesiedelt ... ... genau, und beobachte die Leute. Da würde ich manchmal zu gerne die Stopptaste drücken - freeze - und alle bleiben stehen. So wie sie gerade sind. Und dann würde ich ihnen Fragen stellen: "Wo kommen Sie gerade her?", "Wo wollen Sie hin?", "Sind Sie verheiratet?", "Sind Sie glücklich?". Ich würde die Leute hier in Mitte gerne fragen, was sie von den teuer gewordenen Mieten halten oder ob sie in den Wedding ziehen werden, weil es da noch günstiger ist. In meinem Roman spielt diese Gegend hier ja auch eine große Rolle und natürlich die Lebensphase, in der ich mich befinde. Ich kenne mittlerweile sehr viele geschiedene Frauen, habe mitverfolgt, wie die rechtliche Situation dann ist, wie die Zugewinngemeinschaft funktioniert, wie das Leben dann so weitergeht. Und das kommt alles in mein Buch (lacht). Im Tortendiagramm bereits im Stück "ältere Frauen"? Kann nicht sein! (Foto: IMAGO/APress) Du hast es mit einem lachenden und einem weinenden, vielleicht auch leicht spöttischen Auge geschrieben. Ich erkenne "meine" Wiener Konditorei und treffe "deine" Frauen in meinem Sportverein ... (lacht) Gut, wenn mir das gelungen ist. Das Sportstudio und diesen Bäcker habe ich mir ausgedacht, aber es ist schön zu hören, dass es sich 'echt' liest. Es gibt dafür aber mehrere französische Bäcker direkt hier in Mitte, bei denen man stundenlang anstehen muss, weil dann plötzlich alle, die mal fünf Minuten in Paris waren, den Ehrgeiz haben, jedes Törtchen auf Französisch zu bestellen. In Mitte ist natürlich alles noch viel bunter, viel internationaler ... Ja, und wenn du auf Englisch bestellst und dir einer auf Englisch antwortet und ihr dann zeitverzögert feststellt, dass ihr beide einen deutschen Akzent habt - das ist einfach zu köstlich. Ich habe eine große Liebe für absurde Alltagssituationen, auch weil sie so viel über einen selbst verraten. Hast du schon das nächste Buch im Kopf? Nicht nur im Kopf. Ich habe bereits angefangen, obwohl ich dachte, das würde jetzt sehr lange dauern, bis ich ein neues Buch beginnen könnte. Wir bleiben aber noch bei "Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben" und den Frauen in Yoga-Klamotten mit dem Matcha-Latte-to-go im Range Rover und all den anderen herrlichen Klischees. Gerne. Dass man in einer Stadt so unterschiedliche Welten haben kann, das fasziniert mich nach wie vor. Jeder Bezirk ein Dorf. Oder eher eine Kleinstadt für sich ... Jede Straße sieht anders aus, du fährst 20 Minuten und bist in einer anderen Welt. Und das empfinde ich auch nach über 20 Jahren in Berlin so. In New York wirst du übrigens nach 10 oder 12 Jahren als New Yorker anerkannt. In Berlin nie (lacht). Never! Das ist fies! Ich als echte Berlinerin würde sagen, dass du sehr gerne eine Berlinerin sein darfst nach 20 Jahren! ANZEIGE Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben 718 18,57 € 19,95 € Zum Angebot bei amazon.de Danke. Vor allem, wo ich jetzt Verwandtschaft neu entdeckt habe in der Stadt, wir haben sogar in einer Straße gewohnt und nichts voneinander gewusst. Und uns jetzt bereits ein paar Mal getroffen. Es geht aber nicht nur um diese Stadt, sondern auch und vor allem um eine "ältere Frau", die "was" mit einem "jüngeren Mann" anfängt. Ein No-Go noch immer, ein Aufreger. Jahrzehntelanger Feminismus hin oder her - da hat sich kaum was geändert. Wie rückständig sind wir denn? Ich glaube, dass wir alle immer mal wieder genau solch einen Gedanken in uns finden, über den wir uns selbst erschrecken. Ich habe auch schon mal bei einer Freundin gedacht, dass "das" ja nur ein Strohfeuer sein kann. Zum Glück konnte ich mich da schnell korrigieren. Das Thema ist natürlich total präsent in der Filmbranche - mächtiger Mann, nicht so mächtige Frau. Also: Er hat eine Firma, die Frau 1 mit aufgebaut hat, jetzt befindet er sich in der zweiten Ehe mit einer viel jüngeren Frau 2 und noch einmal kleinen Kindern. Frau 1, die also die Firma mit aufgebaut und die ersten Kinder großgezogen hat, ist dann genau diese mittelalte, geschiedene Frau wie meine Hauptfigur Nina, die beim Thema Zugewinn damals nicht mitgeschnitten hat. Also nicht aufgepasst im Sinne von Ehevertrag? Ja, ich fand es interessant, festzustellen, dass die meisten Menschen bei einem so lebenswichtigen Bündnis oft nur oberflächlich mit den rechtlichen Gegebenheiten vertraut sind. Da geht dann oft bei der Trennung noch mehr emotional kaputt. Auf der anderen Seite beobachte ich eine ganz andere Art von Empowerment. Wenn eine Frau heute 50 ist, dann ist das nicht mehr wie früher. Es gibt aber theoretisch noch immer einen solchen Gegensatz zwischen dem wunderschönen, aufregenden Lebensgefühl, das ich selbst verspüre, und den Statistiken, die unsere Sichtbarkeit betreffen. Und: Wie oft tauchen wir um die 50-Jährigen denn bitte im TV oder Kino auf? Zu wenig. Genau. Ich möchte mehr, gerne auch noch ältere, lebenslustige, tolle, interessante, gut aussehende Frauen auf dem Bildschirm sehen. D'accord. Und weniger Frauen, die ihr Insta-Life so laut ausleben wie die am Tisch neben uns, mit ihrer in der Tat sehr eindringlichen Stimme. Aber sie würde gut in dein Buch passen. (lacht) Sie ist wie Lulu (Anm. d. Red.: Figur im Buch, die sich neben ihrer Tätigkeit als Mutter und zweite Ehefrau als Influencerin versucht). Wo siehst du dich momentan? Ich habe das Gefühl, dass für mich jetzt der schönste Lebensabschnitt anfängt. Damit habe ich nicht gerechnet, das hat mir keiner gesagt. Frau, 50, das ist bestimmt nichts, was allgemein durchweg positive Assoziationen erweckt. Ich arbeite schon lange beim und für den Film - da ist man als Frau ab 30 ja eigentlich abgemeldet. Wenn man das als Diagramm sieht, befinde ich mich seit geraumer Zeit im Tortenstück für ältere Frauen (lacht). Ich verstehe mich selbst erst jetzt viel besser als früher, habe die Ruhe für Dinge, die mich interessieren, und die Freiheit, mich auch mal für uncoole Dinge zu begeistern. Mit 30 haben mich diese Dinge vielleicht auch interessiert, aber da war ich noch zu unstet in meinem Kopf. Ich bin jetzt in einem Alter, in dem ich mich viel rigoroser für Dinge entscheide, die mir guttun. Das gilt auch für Menschen. Mit 30 habe ich viel Zeit mit Aktionen verbracht, die mir gar nicht guttaten. Ich erkenne meine Grenzen inzwischen auch schneller. Und ich versuche tatsächlich erst einmal, das Positive zu sehen oder jemandem, der vielleicht etwas Unbedachtes gesagt hat, noch eine Chance zu geben. Das war ich früher viel gnadenloser. Dich umweht also eine gewisse Altersmilde? Wenn man das so nennen möchte: Ja, durchaus. Bist du ein Aussortierer? Ja, aber ich gebe eine Milliarde Warnungen, ich kämpfe lange um meine Freundschaften. Ich bin mit Herzblut dabei. Ich sage sehr genau, was ich denke oder wie es mir geht. Und es wird niemand aussortiert, der damit nicht gerechnet haben könnte (lacht). Was hältst du von Frauennetzwerken? Viel. Aber ich bin generell eine Freundin von Netzwerken, auch mit Männern. Aber ich habe doch auch viele Frauen um mich. Und nicht nur von diesen Shownetzwerken, damit man "I'm A Feminist" aufs Shirt schreiben kann, sondern ich glaube wirklich an Hilfe unter Kolleginnen. In meinem Fall zum Beispiel von Sibylle Berg, sie hat mir wertvolle Tipps gegeben. Da ist eine ganz ehrliche Verbindung, wo man nur möchte, dass es der anderen gut geht. Die schönste Kombination besteht einfach aus zwei Menschen, die sich eigentlich nicht brauchen, sich aber auch mal einen Rat geben können. Und das passiert nur, wenn man den Mut hat, sich zu öffnen, wenn man auch mal zugibt: "Ich habe hier eine Unsicherheit, hast du einen Tipp?". Das darf man aber auch nicht übertreiben, finde ich. Ein Rat, eine Empfehlung, das sind wertvolle Geschenke - damit gehe ich nicht mehr so großzügig wie früher um. Wichtiges Learning ... Ja, man bekommt etwas, wenn man was kann. Auch das gute alte Vorurteil, dass man sich, gerade in der Filmbranche, hochschlafen könnte, ist Quatsch, dafür ist viel zu viel Geld im Spiel. Du musst etwas können. Und auch hier sind viele Menschen schnell verurteilend. Erst wenn man eine Branche kennt, dann wird klar, dass wir alle auch viel in Hotelzimmern gearbeitet und Meetings absolviert haben. Das ist sehr üblich bei uns - und du denkst vielleicht auch mal, huch, das fühlt sich aber gar nicht okay an. Dann stehen da 20 andere und nicken und signalisieren dir: doch, das ist okay, und du denkst, du bist vollkommen falsch im Kopf. So funktionieren diese Strukturen. Diese Art von System interessiert mich brennend. Deswegen habe ich in meinem Roman genau beschrieben, wie die Vertuschung von Machtmissbrauch funktioniert. Ich freue mich über Geschichten, in denen ich mich mit jemandem, im besten Fall einer Frau, identifizieren kann. Ich habe "Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben" deswegen auch möglichst langsam gelesen, damit ich länger was davon habe. Es freut mich, dass es dir so ging. Ich hatte auch große Lust, mal eine andere Liebesgeschichte zu schreiben, mit einer etwas älteren Frau, die sich in einen etwas jüngeren Mann verliebt und er sich in sie. Ich will nicht nur Liebesgeschichten mit 25-Jährigen. Denn das suggeriert mir, dass es keine Liebe mehr gibt mit 50, und das ist falsch. Ich habe erst vor zweieinhalb Jahren geheiratet (lacht). Das ist immer noch ein blinder Fleck in der Welt der Geschichten. Ich finde übrigens auch nicht, dass nur junge, durchtrainierte, dünne, glatte Körper sexy sind. Verarbeitest du persönliche Erfahrungen in Büchern, Drehbüchern und Filmen? Ja (lacht), gnadenlos, immer und in allen Figuren, aber niemals eins zu eins. Manchmal verwende ich nur ein grundlegendes Gefühl oder wie in "Traumfrauen" einen Running-Gag aus meinem Umfeld. Da habe ich einer Frau, der ihre Scheidung peinlich war, geraten, einfach zu sagen, "mein Mann ist von mir gegangen", auch wenn er sich nur aus dem Staub gemacht hat. Das musste Iris Berben in ihrer Rolle in "Traumfrauen" dann sagen. Wurde dir eigentlich davon abgeraten, in deinem aktuellen Buch über alte Frau meets jungen Mann zu schreiben? Von meiner Verlegerin auf keinen Fall, die hat immer gesagt: "Mach' die bloß nicht zu jung!" (lacht) Man kann auf jeden Fall noch mit 80 ein neues Kapitel aufschlagen, wie Bryan Ferry mir neulich verraten hat, super aussehen wie Harrison Ford und Helen Mirren als altes Liebespaar in "1923", oder seiner über 40 Jahre jüngeren Freundin einen Heiratantrag mit 81 machen,, wie Mick Jagger ... Ja, meine Freundin Emiliana Torrini hat gerade ein - wieder mal - völlig anderes Album gemacht als die Alben davor. Es ist so sinnlich. Und ich sehe, wie sie glüht und sprüht - da kommt noch einiges! Bruce Springsteen - der braucht kein Geld mehr, aber der geht auf Tour, weil er Lust darauf hat! Oder wir waren neulich bei Christopher Cross und Toto, weil ich gerade eine Jacht-Rock-Phase und eine Sehnsucht nach diesen Vollblutmusikern habe. So gute Musik. Und das beste Konzert: Lenny Kravitz! Der stand da auf der Bühne wie ein wirklicher Star, spricht davon, dass wir düstere Zeiten haben - was ja auch so ist - und am Schluss haben aber alle "Let Love Rule" gesungen, es war sooo schön! Es gibt sehr viel zu tun - packen wir's an! Eine Sache noch: Til Schweiger... Oje, ich bin so froh, dass das jetzt vorbei ist. Ich bekomme für den Rest meines Lebens Anteile und Prozente an diesen Filmen, und ich habe mein Urheberrecht bekommen, das macht mich sehr zufrieden. Ich kann jetzt, wenn ich mal eine freie Minute habe, auch einfach nichts tun. Ich muss nicht schon wieder ein sehr langes Schriftstück lesen oder mich ärgern, es nahm so viel Platz in meinem Leben ein. Der Frühling beginnt, und ich kann ihn genießen! Genießen musste ich aber lernen! Kann ich noch nicht so lange. Erst seit meiner schweren Sepsis kann ich das, denn da hatte ich nur bedingt Kraft pro Tag. Und jetzt kann ich den Schalter umlegen, Feierabend. Früher habe ich gearbeitet, bis ich nicht mehr konnte. Dabei wird man nicht besser, wenn man erschöpft ist. Da, wo ich früher gewohnt habe, war immer nur auf der anderen Straßenseite die Sonne. Das habe ich zum Glück hinter mir gelassen. Ich habe so viel gearbeitet, dass ich dachte, ich hätte keine Zeit, umzuziehen, das muss man sich mal reinziehen. Jetzt wohne ich unterm Dach und mache Pausen, auf dem Dach (lacht). Hast du einen Leitsatz? Ja, den Standardsatz meiner Mutter: "Hallo, ich bin 82 und habe noch viel vor." Sie genießt das Leben und lernt ständig etwas Neues. Ich nehme mir ein Beispiel daran und plane, eine fröhliche Alte im Minirock zu werden. Dein Rat? Mehr genießen, wenn es geht. Die Früchte des Lebens ernten. Ich weiß natürlich, dass ich nur so viel wert bin wie mein letztes Projekt, aber zum ersten Mal ist mir das egaler. Und zweitens ist mir meine Karriere zum ersten Mal richtig bewusst, ich konnte den Erfolg vorher nicht so gut fühlen. Ich habe oft gedacht, die vielen Abenteuer, die erleben durfte, reichen ja für zehn Leben. Wenn jetzt gar nichts mehr passiert, auch gut. Aber das wird nicht passieren (lacht). Mit Anika Decker sprach Sabine Oelmann