„Hölle“: Millionenklage wegen sexuellen Missbrauchs in bayerischem Bistum - Verjährung gescheitert

„Hölle“: Millionenklage wegen sexuellen Missbrauchs in bayerischem Bistum – Verjährung gescheitert Von: Stefan Aigner Drucken Teilen Matthias Podszus als kleiner Junge. In Pielenhofen durchlitt er ein Martyrium. © Aigner/Regensburg Digital Wegen Vergewaltigungsvorwürfen verklagt ein Ex-Domspatz die Kirche auf Schadenersatz. Die Kirche pochte auf Verjährung. Die sieht das Gericht nicht. Regensburg – Verjährung – mit diesem Argument hatte das Bistum Regensburg zuletzt versucht, der Schadenersatzklage des ehemaligen Domspatzen Matthias Podszus wegen Vergewaltigungsvorwürfen zu entgehen. Doch dieser Versuch scheint gescheitert, wie eine Verfügung des Landgerichts Regensburg vom 9. April nahelegt. Domspatzen-Vorschule Pielenhofen im Kreis Regensburg: Betroffene sprechen von „Hölle“ Demnach sind die Ansprüche wegen Vorwürfen von sexueller Gewalt „nach vorläufiger Würdigung“ nicht verjährt. Diskussionsbedarf sieht die Kammer noch bei der Frage der Verjährung im Hinblick auf körperliche, psychische und seelische Gewalt, die Podszus in der Domspatzen-Vorschule in Pielenhofen erlitten haben soll. Wir berichteten mehrfach über Podszus, seine Zeit in Pielenhofen und seinen Rechtsstreit mit dem Bistum. Von September 1991 bis Juli 1993 lebte der heute 42-Jährige in der Vorschule und war dem Regime von Johann Meier ausgesetzt, das andere Betroffene als „Hölle“ beschrieben. Schulleiter war ein Priester: Kläger war eines der letzten Opfer des Exzesstäters Seit dem Abschlussbericht des „Domspatzen-Aufklärers“ Ulrich Weber aus dem Jahr 2017 ist bekannt, dass die anfänglich in Etterzhausen, später in Pielenhofen angesiedelte Schule für Gewalt, Demütigung und sexuellen Missbrauch stand. Hunderte Kinder fielen dem zum Opfer. Priester Johann Meier, der dort fast vier Jahrzehnte das Sagen hatte, gilt als sadistischer Exzesstäter. Podszus dürfte eines seiner letzten Opfer gewesen sein – Meier ging im Januar 1992 in den Ruhestand. Während der drei Monate, in denen er und der damals Achtjährige in Pielenhofen aufeinandertrafen, vergewaltigte Meier ihn laut Klageschrift mehrfach. Schadenersatz, Schmerzensgeld, Verdienstausfall: Forderung von über eine Million Euro Podszus‘ Anwalt Sven Markuske reichte die Klage im Oktober beim Landgericht Regensburg ein. Gefordert werden Schadenersatz, Schmerzensgeld und Verdienstausfall. Sollte das Gericht der Klage vollumfänglich stattgeben, könnte das Bistum mit über einer Million Euro belastet werden. Kern der Klage ist der Vorwurf, das Bistum habe seine „Garantenpflicht“ verletzt. Als Podszus 1991 nach Pielenhofen kam, lagen dem Bistum seit mindestens 25 Jahren schriftliche Hinweise auf Meiers Gewalttätigkeit vor. Gewalt an der Domspatzen-Vorschule: Die Kirche wusste lange Bescheid und tat nichts Ein Schreiben eines früheren Präfekten an Bischof Rudolf Graber aus den Jahren 1965/66 dokumentiert Meiers Gewaltregime. Ein weiterer Hinweis des Stiftungsvorstands der Domspatzen von 1975 forderte, übermäßige Gewalt und Prügel nicht länger zu dulden. Doch das Bistum griff nicht ein und ließ Meier weiter gewähren. Kinder wurden weiterhin in die Vorschule und das Internat geschickt. In seiner Klageerwiderung berief sich das Bistum auf die Verjährung der Sexualstraftaten. Nicht alle Bistümer nutzen dieses Argument. Das Bistum Köln verzichtete in einem ähnlichen Fall darauf und zahlte 300.000 Euro Schmerzensgeld. (Übrigens: Unser Regensburg-Newsletter informiert Sie über alle Entwicklungen, News und Geschichten aus der Weltkulturerbe-Stadt.) Einrede wegen Verjährung: Nicht alle Bistümer berufen sich darauf Die Deutsche Bischofskonferenz verteidigt jedoch die Einrede der Verjährung als zulässiges Rechtsmittel – trotz Protesten und einer Petition mit fast 100.000 Unterschriften. Die Bistümer in Deutschland gehen unterschiedlich vor: Das Bistum Aachen beispielsweise erhob in zwei von drei Fällen die Verjährungseinrede, das Bistum Essen wiederum verzichtete im November darauf. Das Bistum Regensburg scheiterte nun „nach vorläufiger Würdigung“ des Landgerichts mit seiner Verjährungseinrede. Laut Verfügung vom 9. April greift § 208 Satz 1 BGB, wonach die Verjährung bei Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung bis zum 21. Lebensjahr des Betroffenen gehemmt ist. Danach gilt eine Verjährungsfrist von 30 Jahren, die hier noch nicht abgelaufen sei. Gericht sieht Diskussionsbedarf: Verjährung auch bei anderen Gewalttaten gehemmt? Bei den weiteren Gewalttaten, die Podszus schildert – etwa Schläge ins Gesicht, Prügel mit dem Schlüsselbund oder das Drücken eines Bleistifts unter den Fingernagel – sieht das Gericht Diskussionsbedarf. Hier beginne die Verjährung mit der Tat. Offen bleibt, ob das kirchliche Verfahren zur „Anerkennung des Leids“ die Verjährung hemmen könnte. Das Bistum hatte argumentiert, dieses Verfahren, in dessen Rahmen Podszus zwischen 2015 und 2022 insgesamt 50.000 Euro erhielt, sei ein „Vergleichsangebot“ gewesen. Zuvor hatte die Kirche solche Zahlungen als freiwillige Leistungen bezeichnet, um Betroffenen zermürbende Prozesse zu ersparen. Hat sich das Bistum mit dieser neuen Einordnung selbst geschadet? Bistum Regensburg lehnte außergerichtlichen Vergleich ab Das Gericht setzte den Parteien eine Frist von vier Wochen für Stellungnahmen, auch zur Organisationsstruktur und den Anstellungsverhältnissen in der Vorschule. Das Bistum behauptet, gegenüber Meier, der Schule und Internat leitete, nicht weisungsbefugt gewesen zu sein. Einen außergerichtlichen Vergleich mit Podszus lehnt das Bistum bisher ab. Bleibt es dabei, dürfte es zu einem öffentlichen Prozess kommen. Podszus, erwerbsunfähig, schwerbehindert (Grad 50) und auf Grundsicherung angewiesen, finanziert die Gerichts- und Anwaltskosten fast ausschließlich über Spenden. Sollte er den Rechtsstreit gewinnen, will er das Geld anderen Betroffenen zur Verfügung stellen, um deren Entschädigungsklagen zu unterstützen.