Aufatmen bei der SPD-Führung: Der Mitgliederentscheid endet mit einem deutlichen Votum für Schwarz-Rot. Das ist ein beachtlicher Erfolg für Parteichef Klingbeil, der in höchster Not im Alleingang das Kommando übernahm. Der kommende Finanzminister hat nun den notwendigen Rückhalt für eine noch schwierigere Aufgabe. Zehn Wochen nach dem wohl niederschmetterndsten Wahlergebnis in der jüngeren Geschichte der Sozialdemokratie macht die SPD den Weg frei für eine abermalige Regierungsbeteiligung im Bund. Beim Mitgliederentscheid stimmten 84 Prozent für den Koalitionsvertrag mit CDU und CSU. Die Wahlbeteiligung von 56 Prozent ist solide angesichts der Tatsache, dass sich der Enthusiasmus der Basis für ein Bündnis unter einem Bundeskanzler Friedrich Merz in eng gesteckten Grenzen hält. Deutlich mehr Freude dürfte nach dem Votum Parteichef Lars Klingbeil verspüren: Er hat die 162 Jahre alte Partei vor der drohenden Implosion bewahrt. Nun ist es an ihm, als Vize-Kanzler und Bundesfinanzminister deren Wiederauferstehung anzuführen. Oder wie SPD-Generalsekretär Matthias Miersch das Ergebnis im Willy-Brandt-Haus kommentierte: "Wir können heute sagen, dass damit für uns der Grundstock gelegt ist, auch für das Jahr 2029 durch eine sehr gute Regierungspolitik die Weichen zu stellen, dass wir bei den nächsten Bundestagswahlen als stärkste Kraft herauskommen." Der dann logische, wenn auch nicht zwingende Kanzlerkandidat: Lars Klingbeil Klingbeil schwingt sich zum Kapitän auf Rückblick auf den Abend des 23. Februar, ebenfalls Willy-Brandt-Haus: Nachdem die ersten Hochrechnungen das schlechteste Bundestagswahlergebnis der SPD-Geschichte mit etwa 16 Prozent der Stimmen bestätigt haben, kommt die Parteiführung aus den oberen Stockwerken ins Foyer herunter. Fraktionsspitze, Bundesminister, Ministerpräsidenten stellen sich im Halbkreis vor die kleine, SPD-rote Bühne. Dort richten nun Bundeskanzler Olaf Scholz und Klingbeils Co-Chefin Saskia Esken Trost- und Dankesworte an Mitstreiter und Mitarbeiter, die dort seit 18 Uhr in Schockstarre verharren. Dass sich all die schlechten Umfragen bewahrheitet haben, schmerzt schwarz auf weiß mehr, als viele erwartet haben. Zehn Minuten lang sprechen Scholz und Esken. Dann greifen die Pranken des hochgewachsenen Klingbeil nach dem Mikrofon und er erklärt sich - erkennbar vorbereitet - zum alleinigen Kapitän der schwer in Seenot geratenen SPD: "Das ist ein mieser Abend, das ist ein dramatisches Wahlergebnis", beschreibt der 47-Jährige das Resultat in deutlich drastischeren Worten als seine Vorredner. Klingbeil kündigt als Konsequenz organisatorische, programmatische und personelle "Umbrüche" an. "Ich sage hier mit absoluter Klarheit: Der Generationenwechsel in der SPD muss eingeleitet werden." Noch am selben Abend nimmt er dem bisherigen Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich sein Amt ab. Klingbeil will als Partei- und Fraktionschef die nun unvermeidlichen Koalitionsverhandlungen mit der Union anführen - und alle Zügel in der Hand halten, damit es den Laden, seine Partei, nicht zerreißt. Erinnerungen an den "Abgrund" Der Niedersachse, einer von nur noch 44 direkt gewählten SPD-Bundestagsabgeordneten, weiß: Viele Genossen haben die Kanzlerkandidatur von Amtsinhaber Scholz nur mit geballter Faust in der Tasche mitgetragen. Klingbeil hätte im November Scholz stürzen und einen Kandidatentausch zugunsten des beliebten Verteidigungsministers Boris Pistorius herbeiführen können. Doch der Niedersachse, der maßgeblichen Anteil an Scholz' Wahlsieg 2021 hatte, schreckte vor dem Königsmord zurück. Auch die Wahlkampagne der SPD ist schon vor dem Wahltag intern umstritten. Nach dem Absturz drohen beinharte Abrechnungen. Noch sind in der SPD die Erinnerungen frisch an die Machtkämpfe zu den Zeiten von Andrea Nahles, Sigmar Gabriel und Martin Schulz. "Die SPD hat in den Abgrund geguckt", sagte Klingbeil einmal über jene Zeit im ntv.de-Interview. Er selbst hatte als noch blutjunger Generalsekretär die Grabenkämpfe aus nächster Nähe erlebt. Ihm wird zugeschrieben, dass die SPD spätestens seit 2020 wieder befriedet ist. Kaum ein interner Konflikt drängt seither nach außen. Der Lohn: sein Aufstieg zum bis dato jüngsten Vorsitzenden der altehrwürdigen Partei. Erfolgreich verhandelt Die von Klingbeil angeleiteten Koalitionsgespräche mit CDU und CSU münden in einen erstaunlichen Erfolg. Erst macht die SPD in den Sondierungstreffen dem designierten Bundeskanzler Merz klar, dass der kommenden Regierung ohne mehr Geld das gleiche Schicksal wie der krachend gescheiterten Ampelkoalition blühen wird. In einer fragwürdigen Eiloperation rasiert daraufhin noch der alte Bundestag die Schuldenbremse. In den folgenden Gesprächen holen die Sozialdemokraten mit ihrem an Regierungserfahrung reichen Verhandlerteam mehr für sich heraus, als die im Bundestag fast doppelt so stark vertretene, aber deutlich schlechter vorbereitete Union sich hat träumen lassen. Zu den Verhandlungserfolgen zählen sieben Ministerien für die SPD, darunter das Finanzressort als Schlüsselposten im kommenden Kabinett. Ex-Finanzminister Christian Lindner hatte den Sozialdemokraten schmerzhaft demonstriert, dass auch der kleinste Koalitionspartner einer Regierungskoalition den Stempel aufdrücken kann, wenn er die Schlüssel zur Schatzschatulle namens Haushalt in der Hand hält. Diese Schlüssel gehen nun an Klingbeil. Die Zugeständnisse an die Union hingegen sind für die SPD verkraftbar. Vor allem die Verschärfungen im Asylbereich schmerzen die Parteilinke, ziehen aber keine Kampagne gegen den Koalitionsvertrag nach sich. Der Angriff der Union auf den Sozialstaat gilt aus SPD-Sicht als erfolgreich abgewehrt: Das für Renten und Bürgergeld zuständige Arbeitsministerium bleibt bei ihr. Die bisherige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas wird für den Posten gehandelt. Dafür müsste der in der Partei hochgeschätzte Hubertus Heil Platz machen. Klingbeil muss harte Entscheidungen treffen Es ist nun offiziell an Klingbeil, die künftige Truppe aus Ministern und Staatssekretären zu formen. Das komplizierte Personaltableau könnte nach sich ziehen, dass in einem Rutsch auch die kommende Fraktions- und Parteispitze geklärt wird. Bis Montagmorgen müssen aber mindestens die Kabinettsmitglieder geklärt sein. Der Koalitionsvertrag soll am Mittag unterzeichnet werden. Die Gespräche werden zwangsläufig auch hässlich. Sie verlangen Führungsstärke von Klingbeil, weil er einige Menschen, darunter langjährige Wegbegleiter, enttäuschen muss. Ende Juni kommt die SPD zum Bundesparteitag zusammen, auch um eine neue Führung zu wählen. Klingbeil könnte dann SPD-Chef bleiben. Wer aber künftig neben ihm die SPD führt, oder ob es der Vize-Kanzler dann ganz alleine macht, ist offen. Die bisherige Co-Chefin Esken ist intern schwer angezählt. Nicht nur die Ostverbände machen gegen die unpopuläre Politikerin unverhohlen Stimmung. Klingbeil beteiligt sich daran nicht öffentlich, unternimmt aber auch kaum bis gar keine Versuche zu deren Rettung. Dass aber Esken neben Scholz als einzige für das Wahlergebnis mit einem faktischen Karriere-Aus büßen soll, stößt Teilen der Partei sauer auf. Die Frau muss gehen, der Mann macht Karriere? Das fänden nicht nur die SPD-Frauen schräg. Wie schon bei der Frage "Scholz oder Pistorius?" bleibt Klingbeil bisher den Beweis schuldig, auch harte Personalentscheidungen treffen und intern moderieren zu können. Andererseits: Wer weiß schon, ob Mützenichs Verzicht auf den Fraktionsvorsitz auf ihn selbst zurückgeht, wie von der SPD kommuniziert? Eine gesichtswahrende Lösung für Esken zu finden, entspricht aber wohl Klingbeils Vorstellung von Anstand, der auch im harten Berliner Politikbetrieb gewahrt werden soll. Schon am Dienstag beginnt für Kapitän Klingbeil das nächste Kapitel. Die schwere See ist vorerst umschifft. Die SPD hat zwar weiter mächtig Schieflage, doch die Lage ist nicht aussichtslos. Zumindest nicht für jemanden, der schon einmal Olaf Scholz ins Kanzleramt katapultiert hat. Der war zuvor Bundesfinanzminister. In dieser Funktion hat er sich bundesweit einen Namen als seriöser Regierungshandwerker gemacht. Niemand weiß das besser als Lars Klingbeil.