Die Luftfahrtbranche arbeitet daran, Check-ins an Flughäfen und Bordkarten durch ein System digitaler Reiseausweise zu ersetzen. Das Gesicht von Reisenden soll dabei dank biometrischer Erkennungsmethoden als "Sesam öffne dich" dienen. Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) hat dazu das Konzept digitaler Reisenachweise (Digital Travel Credentials) entwickelt. Nach ersten Pilotprojekten mit Fluglinien schickt sich der Dienstleister Amadeus nun an, die Blaupause in die Realität umzusetzen. Der IT-Konzern mit Hauptsitz in Madrid betreibt ein globales Vertriebs- und Reservierungssystem für Tickets von Fluggesellschaften. Anzeige Reisende müssten künftig in vielen Teilen der Welt nicht mehr für Flüge einchecken und würden am Flughafen, bei der Autovermietung, im Hotel und an anderen Punkten eines Aufenthalts unterwegs "sofort erkannt" dank automatisierter Gesichtserkennung, prognostiziert Amadeus in einem jetzt veröffentlichten Weißbuch zu den geplanten Liefermanagementsystemen. Das Hantieren mit diversen Reisedokumenten inklusive hoheitlichen Ausweisen oder Pässen vor Ort entfalle damit. "Reisende kommen flugbereit am Flughafen an, nachdem alle Visa- und Grenzkontrollen bereits im Voraus digital durchgeführt wurden", erläutert Amadeus. Anstatt sich an Check-in-Schaltern anzustellen, könnten Fluggäste ihr Gepäck einfach abgeben und zur Sicherheitskontrolle am Airport gehen. Mitarbeiter könnten Reisende gegebenenfalls im Terminal mit Tablets unterstützen. Do it yourself auf dem Vormarsch Passagiere könnten beim Buchen eines Fluges einen "Reisepass" auf ihr Smartphone in eine Wallet herunterladen, beschreibt die britische Times das Verfahren. Bei Änderungen an der Buchung werde dieser automatisch aktualisiert. Fluggesellschaften würden bei der Ankunft eines Kunden am Flughafen über dessen Ankunft informiert und sein Gesicht erstmals gescannt. Dann erfolge die Gepäckabgabe oder der Gang zur Sicherheitskontrolle. Dort und an den Gates erfolge erneut ein biometrischer Gesichtsabgleich. Derzeit müssten Passagiere noch online oder bei ihrem Eintreffen am Flughafen einchecken. Spätestens dort erhielten sie eine gedruckte oder digitale Bordkarte mit einem Barcode, der beim Durchqueren des Flughafens und vor dem Einsteigen gescannt werde. Im Kern handelt es sich bei Digital Travel Credentials (DTC) um ein ausgeweitetes Do-it-yourself-Konzept. Die Lufthansa hat das teils schon implementiert mit ihrem Angebot für eine biometrische Gesichtserkennung mit einer speziellen App. Die Anleitung dazu lautet: "Nehmen Sie ein Foto von sich auf, das später zur Identifizierung am Flughafen herangezogen wird. Bitte fotografieren Sie zusätzlich für den einmaligen Abgleich Ihrer Daten Ihren Reisepass ab und lassen Sie, wenn möglich, den Chip auslesen und überprüfen Sie anschließend die Passdaten auf Vollständigkeit." "Anstatt mehrere Papier- und Digitaldokumente mit sich zu führen, werden die Ansprüche eines Reisenden während der gesamten Reise verknüpft", wirbt Amadeus für den neuen Ansatz. Weitere Buchungen etwa bei einer Autovermietung oder eines Hotels könnten direkt mit einbezogen werden. Es sei möglich, die erforderlichen Informationen mit einem gewählten Identifikator wie einer biometrischen Erkennung oder dem Reisepass zu verknüpfen. Dann entfalle die Pflicht, "ständig Ihre Identität nachzuweisen und Bestelldokumente vorzulegen". Der digitale Reiseausweis sei zudem dynamisch: "Wenn sich ein Gate ändert, wird der Reisende automatisch informiert." Größte Umwälzung in der Reisebranche seit 50 Jahren Anzeige "Bei Störungen erhalten die Passagiere umgehend eine Benachrichtigung mit einer Erläuterung der von der Fluggesellschaft empfohlenen alternativen Reiseoption", schreibt Amadeus. Kunden könnten diese digital über ihr Mobiltelefon annehmen oder ablehnen. Fluggesellschaften seien ferner imstande, "multimodale" Optionen anzubieten, also etwa Schienen- und Busverkehr mit einzubeziehen. Basis des dahinterstehenden ICAO-DTC-Ansatzes, den die UN-Organisation im Juni beschrieben hat, ist eine verschlüsselte digitale Datei als virtuelle Komponente, die die Informationen aus dem Reisepass enthält, einschließlich persönlicher Daten und biometrischer Merkmale wie des Gesichtsbildes. Dazu kommen soll ein physischer Bestandteil, auf dem die virtuelle Komponente gespeichert ist. Dies kann der Chip eines elektronischen Reisepasses, ein Smartphone oder ein anderes mobiles Gerät sein. Der digitale Reisenachweis soll global standardisiert werden, um eine nahtlose Erkennung und Überprüfung durch verschiedene Staaten und Systeme zu ermöglichen. Biometrische Merkmale gelten als besonders sensible Daten, die Erkennungsverfahren weisen diverse Schwachstellen auf. Die ICAO und Amadeus versichern, den Datenschutz in die Technik integrieren zu wollen (Privacy by Design). Den jeweiligen Anbietern würden "unter Einsatz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen" nur die für sie relevanten Informationen zur Verfügung gestellt. Es werde ein System entwickelt, bei dem die Daten eines Passagiers innerhalb von 15 Sekunden nach jedem Kontakt mit einem Erkennungspunkt gelöscht würden. Valérie Viale, Direktorin für Produktmanagement bei Amadeus, betonte gegenüber der Times: Diese Veränderungen seien die größten in der Reisebranche seit 50 Jahren. Ein passendes Gesetzespaket, mit dem der Reisepass digitalisiert und eine EU-Travel-App entwickelt werden soll, hat die EU-Kommission bereits auf den Weg gebracht. (nen)