Australischer Radiosender nutzt monatelang KI-Stimme als Moderation – unbemerkt

Zehntausende Menschen glaubten über Monate, einer jungen Moderatorin bei einer australischen Radiosendung zuzuhören – ohne zu wissen, dass hinter der Stimme eine künstliche Intelligenz (KI) steckte. Erst nachdem mehrere Journalisten Verdacht geschöpft hatten, flog auf, dass die Frau, die der Sender auf seiner Webseite als Moderatorin präsentiert, gar nicht existiert. Der Aufschrei ist groß. Anzeige "Workdays with Thy", auf Deutsch "Werktags mit Thy" heißt die Radiosendung, die der australische Sender CADA auf seiner Webseite vorstellte und nach wie vor vorstellt (Stand: 26. April 2025) – und dabei verschwieg, dass die Moderatorin gar nicht existierte, sondern eine künstliche Intelligenz (KI) sich dahinter verbarg. Moderatorin redete kaum Schweigsam soll auch die vermeintliche Moderatorin Thy in ihrer Sendung gewesen sein, die jeden Werktag für vier Stunden lief. So schreibt die Autorin des australischen Newsletters "The Carpet", dass sie die junge Frau bei mehrmaligem Anhören der Sendung fast kein einziges Mal reden gehört habe. Nur zwei Mal habe sich Thy gemeldet, um einen Song anzusagen und dabei immer nahezu identisch zu klingen. Was der Autorin aber weit verdächtiger erschien: Als "Workdays with Thy" im vergangenen November zum ersten Mal auf Sendung ging, gab es von CADA dazu keinerlei Pressemitteilung oder ähnliches. Am auffälligsten sei aber gewesen, dass Thy auch keinerlei Auftritte in sozialen Medien hatte, was für eine junge Journalistin äußert unüblich ist. Und statt einer ausführlichen Vita, die es zu namhaften Radiomoderatoren in der Regel gibt, gab es zu Thy: rein gar nichts. Der Verdacht erhärtete sich, als die Autorin nach eigenen Angaben mit mehreren Mitarbeitern von CADA sprach: Demnach habe noch nie jemand Thy in der Redaktion gesehen. Auch in der Personensuche des CADA-Intranets sei das vermeintliche neue Redaktionsmitglied nicht zu finden gewesen. Derweil versuchten auch diverse andere australische Journalisten herauszufinden, was es mit Thy auf sich hat. Einem Reporter des Australian Financial Review gelang schließlich der Durchbruch: Die Mediengruppe Australian Radio Network (ARN) zu der auch CADA gehört, konnte ihm gegenüber nicht mehr leugnen, dass Thy in Wahrheit KI-generiert ist. Die Gruppe erforsche ständig, wie neue Technologien großartige Inhalte unterstützen und das Hörerlebnis verbessern können, heißt es demnach in einer Erklärung von ARN. Die Studie mit Thy habe nicht nur wertvolle Erkenntnisse gebracht, sondern auch den einzigartigen Wert unterstrichen, den Persönlichkeiten bei der Erstellung wirklich fesselnder Inhalte haben, betont der Konzern. Anzeige Frau aus der Finanzabteilung stand Modell ARN bestätigte außerdem, dass sowohl die Frau, deren Foto als Thy präsentiert wurde, als auch ihre Stimme tatsächlich existieren. Eine junge Mitarbeiterin der Finanzabteilung habe für das Bild Modell gestanden und ihre Stimme bereitgestellt, damit der KI-Stimmgenerator Elevenlabs darauf aufbauend die Moderationen von Thy generieren kann. Elevenlabs hatte in der Vergangenheit bereits in einer Pressemitteilung eine Kooperation mit ARN bekannt gegeben. Die Autorin von The Carpet sinnierte auch darüber, ob sich der Ersatz junger Radiomoderatoren durch KI überhaupt wirtschaftlich lohne. Solche Jobs würden mit einem Gehalt von rund 35.000 australischen Dollar dotiert, schätzt sie in einem weiteren Blogbeitrag. Die jährlichen Kosten, die ARN durch die Nutzung der KI von Elevenlabs hat, könnten nicht wirklich viel geringer ausfallen, glaubt sie. Wohingegen echte Radiomoderatoren auch "echte Radioarbeit", zum Beispiel in Form von Interviews machen könnten. Auf mögliche Skalierungseffekte, etwa mit einer KI gleich mehrere Radiomoderatoren – und Jahresgehälter – zu ersetzen, ging sie nicht ein. Ein denkbarer Vorteil wäre auch die Vermeidung von Krankenständen mithilfe der KI, oder auch von Abhängigkeiten, etwa wenn ein Moderator sich erstmal beim Publikum eines Senders etabliert hat und weit mehr als 35.000 Dollar pro Jahr verlangen kann. Medialer Aufschrei Soweit einige betriebswirtschaftliche Annehmlichkeiten, die sich das ARN-Management von dem Ansatz möglicherweise versprochen haben könnte. Die andere Seite der Medaille durfte es in den vergangenen Tagen schon kennenlernen: Der mediale Aufschrei und der Vertrauensverlust, den das heimliche Debüt von Elevenlabs alias Thy nun mit sich bringt. Teresa Lim, die Vizepräsidentin der Australian Association of Voice Actors (AAVA) einer Interessenvertretung für professionelle Sprecher, kritisierte, dass ARN den KI-Einsatz nicht offengelegt habe. "Die australischen Hörerinnen und Hörer verdienen Ehrlichkeit und eine ehrliche Offenlegung, anstatt aufgrund mangelnder Transparenz einer falschen Person zu vertrauen, die sie für eine echte Moderatorin halten", monierte sie auch auf LinkedIn. Zahlreiche Medien berichten über den Fall. Journalisten auf Nine News Australia, einem der bekanntesten TV-Nachrichtensender in Australien, sprachen vom "A.I. radio scandal", dem "KI-Radio-Skandal". Es sei eine rote Linie überschritten, wenn KI nicht nur bei einzelnen Aufgaben des journalistischen Arbeitsalltags unterstütze, sondern die Tätigkeit als solche übernehme, sind sich die Moderatoren in einer Liveschalte einig. Der Gedanke, dass auch ihre Gesichter als Basis für eine Moderations-KI dienen könnten, schien ihnen nicht zu gefallen. Doch Thy ist nicht das einizige Projekt dieser Art. Ein ähnliches Experiment des polnischen Senders Off Radio Krakau wurde nach nur einer Woche eingestellt. Die Verantwortlichen waren noch deutlich weitergegangen: So generierten sie auch ein fiktives Interview mit der polnischen Literatur-Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska. Sie war 2012 verstorben. Unter anderem äußerte sich die KI über Ereignisse, welche die Schriftstellerin nie erlebt haben konnte. Auch das sorgte für massive Kritik. (nen)