Burgdorf: Obergericht verhandelt Tötungsdelikt mit über 30 Messerstichen neu

Das Regionalgericht Emmental-Oberaargau verurteilte 2023 einen Mann wegen vorsätzlicher Tötung zu 16 Jahren Haft. Nun wird der Fall im Berufungsverfahren vor dem Berner Obergericht verhandelt. Obergericht Bern : Mit 30 Stichen getötet – «Er war wie ein Sohn für das Opfer» Das Berner Obergericht verhandelte am Montag ein Tötungsdelikt aus dem Jahr 2018 neu. 20min/Matthias Spicher Darum gehts Das Obergericht befasst sich mit einem Tötungsdelikt, für das ein Mann 2023 zu 16 Jahren Haft verurteilt wurde. Der Angeklagte soll seinen Bekannten mit über 30 Messerstichen getötet haben. Sowohl Tatverdächtiger als auch Opfer werden dem Drogenmilieu zugeordnet. DNA-Spuren auf den Tatmessern führten zur Verurteilung des Mannes. Nach der Haftstrafe soll der gebürtige Italiener aus der Schweiz ausgeschafft werden. Am 20. Februar 2018 entdeckte die Polizei in einer Wohnung an der Burgdorfer Hofstatt die Leiche eines 55-jährigen Mannes. Die Leiche wies mehr als 30 Einstichverletzungen auf. Kurz darauf nahm sie einen Tatverdächtigen fest, einen heute 39-jährigen Italiener, den das Opfer aus der Drogenszene kannte. Ein klares Tatmotiv konnte das Gericht nicht feststellen. Zahlreiche Indizien, darunter DNA-Spuren auf den zwei Tatmessern, überzeugten das Regionalgericht Emmental-Oberaargau jedoch von der Schuld des heute 39-jährigen Italieners, der zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Der Verurteilte hatte die Tat stets bestritten und legte Berufung ein. «Er war wie ein Sohn für das Opfer» Die Verteidigung plädiert auf Freispruch vom Anklagepunkt der vorsätzlichen Tötung. Ausserdem fordert der Verteidiger eine Genugtuung von mindestens 20’000 Franken, sowie eine Aufhebung des Landesverweises. Normalerweise brauche es für eine Verurteilung in einem solchen Fall drei Komponenten: ein klares Tatmotiv, eine klare Gelegenheit, die Tat zu begehen und ein klar identifizierbares Tatmittel, so die Verteidiger. «In diesem Fall sind alle drei Komponenten nicht eindeutig gegeben.» Dass der Angeklagte überhaupt eine Gelegenheit gehabt habe, das Opfer zu töten, stellt der Verteidiger infrage. Der mutmassliche Täter lebte demnach zum Tatzeitpunkt mit seiner Freundin, seiner jungen Tochter und Eltern zusammen und war laut deren Aussagen im Tatzeitraum höchstens 30 Minuten alleine zu Hause beziehungsweise mit dem sechsmonatigen Baby alleine. In dieser Zeit sei es ihm unmöglich gewesen, von Bern nach Burgdorf zu kommen. «Vielleicht ging es um Drogen, vielleicht um Geld» Gesichert sei nur, dass viel DNA-Material des Angeklagten am Tatort und in der restlichen Wohnung gefunden wurde. Laut Verteidiger ist dies jedoch darauf zurückzuführen, dass der Angeklagte ein halbes Jahr zuvor zwischenzeitlich beim Opfer wohnte und auch in der Woche vor der Tat in der Wohnung übernachtete. Der Verteidiger merkt ausserdem an, dass auch DNA von anderen möglichen Tatverdächtigen in der Wohnung gefunden wurde. Auch habe das Regionalgericht kein Motiv für die Tat ermitteln können. «Vielleicht ging es um Drogen, vielleicht um Geld», hiess es damals. Die Verteidigung zitiert aus Aussagen von Bekannten des Getöteten: «Er war wie ein Sohn für das Opfer.» DNA-Material lasse keinen Zweifel zu Die Staatsanwältin hält ihr Plädoyer deutlich kürzer und fordert das Obergericht auf, das erstinstanzliche Urteil zu bestätigen und das Strafmass unverändert zu lassen. Es sei richtig, dass kein klares Motiv vorhanden sei, dennoch lasse das gefundene DNA-Material keinen Zweifel an der Täterschaft zu. Alibi kommt von der Familie Andere mögliche Tatverdächtige hätten eine ähnliche Beziehung zum Opfer gehabt, die gefundenen Mengen an DNA-Material dieser Personen seien jedoch viel geringer als vom Beschuldigten. Laut Staatsanwaltschaft ist das ein Indiz dafür, dass der Beschuldigte die letzte Person in der Wohnung des Opfers war. Da das Alibi des Täters nur von dessen eigener Familie stamme, sei es «mit Vorsicht zu geniessen». Es sei auch nicht auszuschliessen, dass sich der Angeklagte in der Nacht davonschlich. Die ungewaschene Jeans In ihrem Plädoyer spricht die Staatsanwältin verschiedene Stellen am Tatort an, an der DNA des Täters gefunden wurde, darunter auch die Aussentasche der Jeans, die das Opfer trug. Laut der Staatsanwältin sei dies darauf zurückzuführen, dass der Täter das Opfer nach der Tötung auf Geld und Drogen durchsuchte. Die Erklärung des Beschuldigten: Er habe die Hose während seines Aufenthalts sechs Monate zuvor getragen. Laut Staatsanwältin sei es jedoch unmöglich, dass die Jeans in dieser Zeit nie gewaschen wurde. Zumal das Opfer von seiner Sozialarbeiterin als reinlich beschrieben wurde. Beim Waschen müsste die DNA des Beschuldigten verschwunden sein. «Ich halte mich selbst für eine reinliche Person, aber es gibt sicherlich Jeans, die ich lange nicht wasche», erklärte der Verteidiger dazu in seiner Replik. Es sei durchaus möglich, dass jemand eine Jeans während mehrerer Monate nicht wasche, falls man diese nur für spezielle Zwecke trage. «Bete jeden Tag» Nachdem die Anwälte ihre Plädoyers abgeschlossen und Repliken abgegeben hatten, gab das Gericht dem Angeklagten die Chance, sich zu äussern. «Ich bin unschuldig. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich bete jeden Tag zu Gott, dass diese Situation sich klärt.» Die Urteilsverkündung ist für den 6. Mai angesetzt. Darum wurde das Kommentarfeld deaktiviert Wir wissen, wie wichtig es ist, eure Meinung zu teilen. Leider müssen wir die Kommentarspalte bei diesem Artikel geschlossen lassen. Es gibt Themen, bei denen wir wiederholt Hasskommentare und Beleidigungen erhalten. Trotz intensivem Aufwand findet in diesen Kommentarspalten kein konstruktiver Austausch statt. Das bedauern wir sehr. Bei Storys rund um Todesfälle, Verbrechen und Unglücke verzichten wir ebenfalls auf die Kommentarfunktion. Uns ist der Austausch mit euch enorm wichtig – er ist ein zentraler Bestandteil unserer Plattform und ein wesentlicher Baustein einer lebendigen Demokratie. Deshalb versuchen wir die Kommentarspalten so oft wie möglich offenzuhalten. Ihr habt es selbst in der Hand: Mit respektvollen, konstruktiven und freundlichen Kommentaren tragt ihr dazu bei, dass der Dialog offen und wertschätzend bleibt. Wir freuen uns auf einen spannenden Austausch in der nächsten Kommentarspalte!