Berliner Mauer: So starb Chris Gueffroy

Chris Gueffroy starb in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 1989 an der Berliner Mauer In der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 1989 versuchten zwei junge Ost-Berliner, in die Freiheit zu flüchten. Sie glaubten, höchstens ein Jahr Haft zu riskieren. Ein Irrtum mit fatalen Folgen. Anzeige Schauspieler oder Pilot hatte er werden wollen. Aber die DDR-Behörden ließen Chris Gueffroy nicht zum Abitur zu. Also lernte er Kellner und träumte einen großen Traum: Amerika sehen. Dann hörte er Ende 1988 von einem Bekannten, der bei den Grenztruppen in Thüringen seinen Wehrdienst abzuleisten hatte, dass der Schießbefehl ausgesetzt sei. Es dürfe nur noch auf Fahnenflüchtige und bei Angriffen auf die Staatsgrenze geschossen werden. Eine Fehlinformation mit fatalen Folgen. Denn in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 1989 starb Chris Gueffroy, als er mit seinem Freund Christian Gaudian in Berlin-Treptow die Grenzanlagen zu überwinden versuchte. Kurz vor Mitternacht traf ihn die Kugel aus der Kalaschnikow eines Grenzpostens in die Brust; um 0.15 Uhr wurde sein Tod formal festgestellt. Anzeige Gedenken an der Stele für Chris Gueffroy am Tatort des Mordes Quelle : picture-alliance/ dpa Schon wenige Minuten später tippte ein Stasi-Offizier eine Meldung an Minister Erich Mielke: „Verhinderung eines Angriffs auf die Staatsgrenze zu Berlin (West). Durch die Grenzposten des Regimentes 33 wurden 22 Warn- und Zielschüsse abgegeben.“ Chris Gueffroy war der letzte DDR-Bürger, der bei einem Fluchtversuch an der Berliner Mauer erschossen wurde. Nach ihm starb noch Winfried Freudenberg. Er stürzte am 8. März 1989 beim Versuch, mit einem improvisierten Gasballon in die Freiheit zu fliegen, ab. Acht Monate später fiel die Grenze zwischen Ost und West. Anzeige Zum Zeitpunkt seines Todes war Gueffroy gerade einmal 20 Jahre und acht Monate alt – er hatte sein Leben noch vor sich, und er wollte es selbstbestimmt verbringen. „30 Jahre nach dem Mauerfall vergessen wir die Opfer nicht“, betont Axel Klausmeier der Direktor der Stiftung Berliner Mauer. Ihre Schicksale zeigten, wie stark ihr Wunsch nach Freiheit gewesen sei. Etwa an dieser Stelle befanden sich Chris Gueffroy und Christian Gaudian, als sie um 23.39 Uhr Alarm auslösten Quelle : BStU Der konkrete Anlass für die Fluchtabsicht war die bevorstehende Einziehung zum Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee. Gueffroy fühlte sich ohnehin in der SED-Diktatur eingeengt und reglementiert; außerdem sah er die Korruption in der DDR-Gastronomie mit Abscheu, schreiben die Historiker Udo Baron und Hans-Hermann Hertle im Gedenkbuch für die Opfer der Berliner Mauer über Gueffroy. Die Aussicht, auch noch seinen wenigstens einträglichen Beruf zu verlieren und den Schikanen von Vorgesetzten in der DDR-Armee ausgesetzt zu sein, ließen Gaudian und ihn das Risiko eingehen. Es erschien den beiden überschaubar. „Im Prinzip herrschte die Meinung: Okay, wenn sie uns kriegen, nehmen sie uns fest. Dann gibt es ein Jahr harmlosen Knast, und dann ist gut“, erinnerte sich Christian Gaudian: „Aber weder der Knast war harmlos, noch der Ausgang der Geschichte war harmlos.“ Gueffroy und Gaudian erreichten am 5. Februar 1989 gegen 22.30 Uhr die Kleingartenkolonie „Harmonie“ im Ost-Stadtbezirk Treptow. Sie sahen sich um und schlichen dann vorsichtig zur Grenze vor; die Dunkelheit sei Schutz genug, fanden die beiden. Nun trennten sie nur noch die „pioniertechnischen Anlagen der Grenzsicherung“, so der DDR-Jargon, und der Britzer Zweigkanal von Berlin-Neukölln. Ein schlichtes Holzkreuz erinnert Ende Februar 1989 im Bezirk Neukölln an den von DDR-Grenzsoldaten erschossenen Flüchtling Quelle : dpa Die erste Sperre, die rund drei Meter hohe Hinterlandssicherungsmauer, überwanden Gueffroy und Gaudian mit selbst gebauten Wurfankern und per „Räuberleiter“. Doch als sie unter dem Signalzaun wenige Meter entfernt durchkrochen, lösten sie Alarm aus. Es war genau 23.39 Uhr. Nun lag zwischen ihnen und dem Britzer Zweigkanal nur noch der aus Streckmetallplatten bestehende letzte Zaun, im Grenzer-Deutsch „vorderes Sperrelement feindwärts“ genannt. Sie rannten dorthin vor, unter dem gleißenden Licht der Peitschenlampen hindurch, und versuchten, trotz der scharfen Kanten des Metalls den Zaun zu überklettern. Doch der Schießbefehl war gar nicht aufgehoben, sondern galt nach wie vor. Plötzlich peitschten 22 Schüsse durch die Nacht. Die Kugeln schlugen Funken aus dem Streckmetallzaun. Gaudian erhielt einen Treffer am Fuß und wurde schwer verletzt festgenommen; er erhielt später drei Jahre Haft wegen „versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall“. Gueffroy aber erwischte ein Geschoss in der Brust; er starb noch vor Ort. Karin Gueffroy und ihr Anwalt beim ersten Prozess gegen frühere DDR-Grenzsoldaten Quelle : picture-alliance / dpa