Omri Boehm: Dieser Mann ist ein Ärgernis (für viele)
Früher, in den Sechziger- und Siebzigerjahren, gehörte es zum guten konservativen Ton, linke Intellektuelle als das zu beschimpfen, was sie oft genug auch waren: als Atheisten. Religionshasser seien sie, niedrige Verächter einer höheren Wahrheit, gottlos, traditionslos und eiskalt im Herzen. Für die Feinde des Abendlandes sei jede Religion nur "Opium fürs Volk". Heute, im aufgeheizten Diskurs, scheinen sich die Vorzeichen verkehrt zu haben. Wer aus der Bibel zitiert, und dann auch noch die revolutionären Stellen, der kann gewaltig Ärger bekommen. Im Handumdrehen gilt er als gefährlicher Spinner und subversiver Idealist, kurz: als Verrückter, der seinen verlorenen Illusionen nachrennt und friedliebende Mitmenschen mit biblischer Hypermoral erpresst. Der israelisch-deutsche Philosoph Omri Boehm bekommt das gerade zu spüren. In Haifa als Nachkomme von Holocaustüberlebenden geboren, beweist er eine bedenkliche Schwäche für die Hebräische Bibel sowie eine verdächtige Nähe zu jüdischen Propheten. Außerdem besitzt Boehm die Frechheit, uralte Textstellen ohne Triggerwarnung mit der Weltlage zu konfrontieren, vor allem mit dem Geschehen in Israel. Dass er in den Augen geistiger Verfassungsschützer gesichert linke Ansichten vertritt, macht die Sache nicht leichter. Als Omri Boehm im vergangenen Jahr während der Wiener Festwochen eine Rede halten sollte, kam es, wie es kommen musste: Es gab einen Eklat. Mit aller Macht wollte die Israelitische Kultusgemeinde seine Rede verhindern und warf ihm vor, er dämonisiere Israel und beleidige das Gedenken an den Holocaust. Am Sonntag sollte Boehm nun zum 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald eine Rede halten – und wurde auf Druck der israelischen Botschaft von der Gedenkstätte Buchenwald wieder ausgeladen. Die Begründung der israelischen Botschaft für ihre Haltung gegenüber Boehm, die am vergangenen Mittwoch veröffentlicht wurde, klingt bekannt: Omri Boehm verwässere "unter dem Deckmantel der Wissenschaft das Gedenken an den Holocaust" und beraube ihn "seiner historischen und moralischen Bedeutung". Außerdem habe Boehm die Ermordung der Juden mit der Nakba verglichen, mit der Vertreibung der Palästinenser im Zuge der israelischen Staatsgründung. "Wenn das Andenken an die Ermordeten entstellt und beschmutzt werden soll, werden wir nicht wegschauen." Boehms geplanter Auftritt in Buchenwald sei eine "eklatante Beleidigung des Gedenkens an die Opfer". © ZEIT ONLINE Newsletter Natürlich intelligent Künstliche Intelligenz ist die wichtigste Technologie unserer Zeit. Aber auch ein riesiger Hype. Wie man echte Durchbrüche von hohlen Versprechungen unterscheidet, lesen Sie in unserem KI-Newsletter. Registrieren Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis. Vielen Dank! Wir haben Ihnen eine E-Mail geschickt. Prüfen Sie Ihr Postfach und bestätigen Sie das Newsletter-Abonnement. Diese E-Mail-Adresse ist bereits registriert. Bitte geben Sie auf der folgenden Seite Ihr Passwort ein. Falls Sie nicht weitergeleitet werden, klicken Sie bitte hier . Der israelische Botschafter Ron Prosor selbst legte am Freitag nach: Er sei stolz darauf, "einem Gedenken an die Schoa, das das Leid der Überlebenden relativiert oder den Staat Israel infrage stellt, die Rote Karte zu zeigen". Prosor griff Boehm persönlich an: "Wo Omri Boehm auftritt, hinterlässt er zerbrochenes Porzellan." Die Idee, "ausgerechnet ihm eine Bühne zum 80. Gedenken des Konzentrationslagers Buchenwald zu bieten, war aberwitzig". Auch den dortigen Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner, der Boehm zunächst ein- und dann auf Druck eben der israelischen Botschaft wieder ausgeladen hatte, attackierte Prosor: "Vollends absurd wird es, wenn Wagner sich aus Feigheit hinter Schoa-Überlebenden versteckt, um seine persönliche Entscheidung zu rechtfertigen." Obwohl er gewusst habe, "wie umstritten seine Entscheidung war, hoffte Wagner auf einen ungestörten Ablauf seiner Gedenkveranstaltung – diesen Gefallen können wir ihm nicht tun". Prosor weiter: "Eine Schoa ohne Juden und eine Welt ohne jüdischen Staat mag eine verlockende Vorstellung sein, zumal wenn sie von einem Juden vorgetragen wird, aber dafür stehe ich nicht zur Verfügung." Zu den Wortmeldungen der israelischen Botschaft und des Botschafters selbst muss man wissen: Boehm ist ein unmissverständlicher Kritiker von Benjamin Netanjahu und der "systematischen und absichtlichen Zerstörung der Lebensbedingungen in Gaza". Über Wochen, so schrieb er in der FAZ, habe die israelische Armee rund um die Uhr alle sechs Minuten eine Frau und ein Kind getötet; zuvor hätten prominente Regierungspolitiker die Hamas als "Tiere in Menschengestalt" bezeichnet und die Einstellung humanitärer Hilfe gefordert ("Sie sollen verhungern") .