WTF: KI-Avatar als "Anwalt" vor New Yorker Gericht aufgeflogen

Künstliche Intelligenz (KI) macht auch vor dem Justizsektor nicht mehr halt. Der Einzug der Automatisierungstechnik in die Rechtswelt läuft aber nicht reibungslos. Das zeigte sich etwa am 26. März in der Ersten Justizabteilung der Berufungskammer des Obersten Gerichtshofs des Staates New York. Unter einer lichtdurchfluteten Glaskuppel wollte dort ein Richterkollegium einen US-Bürger namens Jerome Dewald anhören. Der klagt in einem Arbeitsrechtsstreit gegen die Versicherungsgesellschaft MassMutual wegen einer angeblichen Schiedsklausel in seinem Jobvertrag. Anzeige Der Kläger wollte sich offenbar einen Anwalt sparen und trotzdem einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Diese Strategie ging nur teilweise auf. "Der Beschwerdeführer hat ein Video für seine Argumentation eingereicht", zeigt sich Richterin Sallie Manzanet-Daniels laut einer auf YouTube veröffentlichten Aufzeichnung der Sitzung zunächst prinzipiell offen für eine audiovisuelle Einlage. "OK. Wir werden uns jetzt dieses Video anhören." Doch die Show dauert nur wenige Sekunden. Auf dem Bildschirm erscheint ein lächelndes, geradezu verdächtig jugendlich wirkendes männliches Wesen mit gut sitzender Frisur, Hemd und Pulli drüber. Die Figur grüßt das Gericht höflichst und stellt sich als "bescheidener Vertreter" in eigener Sache "vor einem Gremium aus fünf angesehenen Richtern" vor. Doch trotz der Schmeicheleien kommt stante pede da die Unterbrechung, denn die Vorsitzende Richterin riecht den KI-generierten Braten. "Ah, ah", zeigt Manzanet-Daniels sich zunächst kurz überrascht. "Stoppen Sie das!", ordnet sie an und fragt: "Ist das der Anwalt für den Fall?" Richter fühlen sich an der Nase herumgeführt "Das habe ich erzeugt. Das ist keine reale Person", lässt Dewald stotternd wie ein überführter Schüler in einem schlechten Sketch durchblicken. Ab da ist kaum mehr zu verkennen: Der Beschwerdeführer hat mithilfe von KI einen Avatar ins Rennen geschickt. "Ich schätze es nicht, in die Irre geführt zu werden", stellt die Richterin klar. Er müsse deutlich machen, ob er eventuell an einer Krankheit leide und einen Beistand brauche oder nicht. "Nutzen Sie den Gerichtssaal nicht für die Vorstellung einer Geschäftsidee", herrscht Manzanet-Daniels den Verdutzten an. Dann wird sie laut: "Schalten Sie das aus." Die Richterin gibt dem Beschwerdeführer fünf Minuten, um seine Sicht der Dinge darzulegen. Der schon etwa ältere Herr sucht auf seinem Smartphone nach einer Lösung. Immer wieder tippt er auf dem Handy und stammelt ein paar Brocken. Schließlich fängt er sich und bringt seinen Fall doch noch halbwegs flüssig vor, ohne die Zuhörer freilich mit einem rhetorischen Feuerwerk einzunehmen. "Sie haben mich ganz schön fertiggemacht" Anzeige Klar ist: Nach der aktuellen Rechtslage darf in Deutschland eine KI einen Bürger nicht vor Gericht vertreten. Der Anwaltszwang, fehlende Qualifikationen und Verantwortlichkeiten, häufig vorkommende Halluzinationen bei generativen Chatbots sowie die Notwendigkeit persönlicher Interaktion sprechen dagegen. In den USA ist die Situation komplexer und noch im Fluss. Generell gilt aber auch hier, dass eine KI derzeit nicht ohne Weiteres für einen Bürger vor Gericht sprechen darf. Vielfach fungiert die Technik zwar schon als Werkzeug für menschliche Anwälte, nicht aber als deren Ersatz. 2023 mussten zwei US-Advokaten auch bereits je 5000 Euro Strafe in New York zahlen, weil sie sich auf fiktive Präzedenzfälle beriefen, die ChatGPT erfunden hatte. Gegenüber der Agentur Associated Press klärte Dewald auf, er habe beim Gericht zunächst die Erlaubnis beantragt, ein aufgezeichnetes Video abzuspielen. Anschließend habe er mithilfe einer Lösung eines Tech-Unternehmens aus San Francisco den Avatar erstellt. Der sollte ihm eigentlich ähnlich sehen, doch das habe er vor der Anhörung nicht mehr hinbekommen. Dem Beschwerdeführer ist mittlerweile bewusst, dass er keine blendende Idee hatte: "Das Gericht war darüber sehr verärgert. Sie haben mich ganz schön fertiggemacht." Ein neues Urteil in seinem Fall erging bis zum Ende der Woche nicht. (nie)