Als der derzeit wohl einflussreichste aller Comiczeichner, der Amerikaner Chris Ware, kürzlich in Deutschland war, antwortete er auf die Frage nach dem für ihn besten aktuellen Comic: Olivier Schrauwens „Sonntag“, im vergangenen Jahr auf Englisch erschienen. Nun kann man dieses Urteil auf Deutsch überprüfen - gerade ist der übersetzte Band in Coproduktion von Colorama (dem Verlag der Originalausgabe) und der Edition Moderne herausgekommen. Und Ware hat recht: Was Schrauwen da veranstaltet, eröffnet eine neue Dimension des Comic-Erzählens. Thibaul Schrauwen ist Erzähler und Protagonist in „Sonntag“. Hier spiegelt er sich in seinem zerbrochenen Smartphone. Edi Schrauwen Nicht, dass der 1977 geborene Belgier in den mittlerweile fast zwanzig Jahren, die seit seinem ersten internationalen Erfolg, dem Band „Mein Junge“, vergangen sind, Zweifel an seiner Begabung zugelassen hätte. Aber die letzte Publikation lag zehn Jahre zurück: „Arsène Schrauwen“ erzählte die Geschichte seines Großvaters als Kolonialist in Afrika. Familienbiographisch ist nun auch der neue Band. „Sonntag“ heißt er, und was da auf 472 Seiten geboten wird, ist der in langen Gesprächen akribisch rekonstruierte Alltag von Olivier Schrauwens Cousin Thibault an einem einzigen Herbstsonntag des Jahres 2017. Künstler und Modell: Olivier Schrauwen zeichnet sich selbst in „Sonntag“ bei den Gesprächen mit seinem Cousin Thibault, aus denen dann der Comic wurde. Edi Schrauwen Man mag bei solchem Ein-Tages-Erzählprinzip an „Ulysses“ von James Joyce oder „Mrs Dalloway“ von Virginia Woolf denken, und man wird mit dem Vergleich weder diesen beiden Meilensteinen der Romanliteratur unrecht tun, noch Schrauwens Leistung ungebührlich preisen. Doch wie er erzählt, ist ganz comicgerecht, indem er die Seiten- zur Spielfläche macht, auf der mehrere Zeit- und Raumebenen parallel dargeboten werden, ausgehend von Thibaults innerem Monolog um seinen Job als Typograph, seine sexuellen Bedürfnisse, alte Freundschaften und um die Bedenken gegenüber all diesen Fragen. Neben ihm treten seine Partnerin Migali auf, die gerade die Rückreise aus Gambia nach Belgien antritt, der trinkfreudige schwule Cousin Patrik, die ehedem angebetete Nora sowie der Autor des Comics, Olivier Schrauwen selbst. Und so komplex die Handlungsebenen verschachtelt sind, so sind es auch die graphischen Mittel, die zum Einsatz kommen: vom Fotorealismus bis zum Skizzenstrich. Die Spannung steigt mit jeder Seite, obwohl nichts Spektakuläres passiert. Doch da ist ein Tag so in Bilder gefasst, dass man noch jahrelang wird staunen können. Ein Buch für die Comicgeschichtsbücher, ein Sonntagskind dieser Kunstform.