„Maulkorb verpasst“: Experte erhebt „ungeheuerliche“ Vorwürfe gegen ZDF-Sendung „Heute“ Von: Jana Stäbener Drucken Teilen In einem Interview beim ZDF wird ein Direktor einer KZ-Gedenkstätte aufgefordert, die AfD nicht zu nennen. „Die Zerstörung des ÖRR kommt offenbar gezielt von innen.“ „Diese Woche wurde ich erstmals in einem Interview mit einem Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) bei einer Äußerung zum Geschichtsrevisionismus gebeten, die AfD nicht explizit zu erwähnen“, schreibt Jens-Christian Wagner am 21. April 2025 auf Bluesky. Eine Begründung der Redakteurin sei gewesen, dass der Beitrag sonst nicht gesendet werde, behauptet der Direktor der Stiftung Gedenkstätten für die Konzentrationslager (KR) Buchenwald und Mittelbau-Dora zunächst. In einem Kommentar unter seinem Post ergänzt Wagner am 23. April, er habe das Transkript der entsprechenden Passage bekommen und es habe keinen expliziten Hinweis der Redakteurin gegeben, die Passage werde mit der Erwähnung der AfD nicht gesendet. Aber er sei gebeten worden, einen Satz über Angriffe auf die liberale Demokratie noch einmal zu wiederholen, ohne die AfD zu erwähnen. Als Grund habe die Redakteurin die Befürchtung genannt, ihr könne sonst im Netz „AfD-Bashing vorgeworfen werden“. Wagner bereitet dieser Vorfall Sorge. „Noch ist das, was mir konkret in dem ZDF-Interview geschehen ist, ein Einzelfall“, sagt er BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA. Aber er beobachte schon lange eine „falsche Balance“ bei den ÖRR, einen vergeblichen und „naiven“ Versuch, die „AfD zu entzaubern“, indem man ihren „Narrativen eine Bühne“ biete. „Rechtsextreme durch Einbindung zu entzaubern, hat noch nie funktioniert, weder in den Medien noch in der Politik.“ Ein Historiker wird in einem ZDF-Interview zur Erinnerungskultur gebeten, nicht über die AfD zu sprechen. Der Sender reagiert. © Screenshot ZDF heute Mediathek AfD-Vorfall beim ZDF: Bekommt ein Historiker einen „Maulkorb durch den ÖRR verpasst“? In den Kommentaren unter Wagners Bluesky-Beitrag sind die Menschen entsetzt über die angebliche Bitte, die AfD in einem ZDF-Interview nicht zu erwähnen. Sie sprechen von „Nazikuscheln“, davon, dass Wagner einen „Maulkorb durch den ÖRR verpasst“ bekomme und von einem Angriff auf die Pressefreiheit und Demokratie. Der Kommunikationsexperte Marc Raschke nennt den Vorfall „ungeheuerlich, aber bezeichnend“. „Was wir derzeit im ÖRR erleben, muss alle Alarmglocken der Demokratie schrillen lassen“, sagt er BuzzFeed News Deutschland. „Wenn ich Rassismus im ÖRR nicht mehr beim Namen nennen darf und der Direktor einer Gedenkstätte fürchten muss, dass sein Statement nicht mehr gesendet wird, weil er die AfD für Geschichtsrevisionismus verantwortlich macht, dann ist das ein vorauseilender Kniefall vor den Feinden unserer Demokratie“, sagt Raschke. Auch das neue ARD-Format „Klar“ über Migration, an dem es viel Kritik gab, wirke „wie ein Telegram-Hetz-Kanal, der alle gängigen Vorurteile ohne Einordnung aneinanderreiht.“ Mit so etwas machten sich öffentlich-rechtliche Sender seiner Meinung nach „mitschuldig am Aufstieg einer Entwicklung, wie wir sie in den USA derzeit erleben“, sagt er. „Die Zerstörung des ÖRR kommt offenbar gezielt von innen, wenn solche Formate durchgewunken werden.“ Pressefreiheit in Deutschland und beim ÖRR: „Wir haben ein riesiges Problem“ Hinter der Bitte der ZDF-Redakteurin, die AfD nicht zu erwähnen, habe außerdem aber auch die „durchaus begründete“ Angst gesteckt, Opfer rechter Hetze im Netz zu werden, ergänzt Wagner. „Das lenkt den Blick darauf, dass wir ein riesiges Problem haben: Journalisten und Journalistinnen werden weltweit nicht nur von diktatorischen Regierungen zum Schweigen gebracht, sondern sind Ziel massiver Hetze im Netz bis hin zu Morddrohungen.“ In den USA bekomme dieser digitale Mob Unterstützung aus dem Weißen Haus – etwa indem unliebsame Journalisten von Trump von Pressekonferenzen ausgeschlossen würden. „Was derzeit in den USA geschieht, ist die Blaupause für das, was die AfD in Deutschland plant“, warnt Wagner. Deswegen gehe es ihm auch „nicht um ÖRR-Bashing“. Im Gegenteil: Der ÖRR müsse als Instrument für Demokratie „unbedingt erhalten“ bleiben. „Er kann aber nur ein Korrektiv bleiben, wenn er Gegnern der Demokratie nicht eine Bühne bietet oder vor ihnen einknickt.“ Der Historiker Jens-Christian Wagner findet, der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf vor Gegnern der Demokratie nicht einknicken. © Screenshot ZDF heute Mediathek AfD nicht erwähnen: ZDF äußert sich zum Vorfall im ÖRR-Interview BuzzFeed News Deutschland bittet das ZDF um Stellungnahme zu dem angeblichen Vorfall im ÖRR-Interview mit Jens-Christian Wagner. Der Sender teilt mit, man nehme die Schilderung des Historikers zur Kenntnis, erklärt die Bitte der Redakteurin, die AfD nicht zu erwähnen, aber lediglich mit der begrenzten Sendezeit: „Im konkreten Fall bat die Autorin den Interviewpartner darum, den Vergleich zur AfD wegzulassen, da sich der rund 1:52 Minuten kurze ‚heute‘-Beitrag inhaltlich auf die historische Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen vor 80 Jahren konzentrierte und nicht die aktuelle parteipolitische Auseinandersetzung mit der AfD zum Thema hatte.“ Der ÖRR-Sender stellt außerdem klar: „Aus dem Transkript des Interviews, das dem ZDF vorliegt, geht hervor, dass die Autorin an keiner Stelle, wie von Herrn Wagner behauptet, gesagt hat, das ZDF oder die Redaktion würden einen Beitrag, in dem die AfD thematisiert wird, nicht senden.“ Auf die Frage, wie der Sender Redakteure und Redakteurinnen vor Anfeindungen und Hass im Netz schützt und ob diese zugenommen haben, bekommen wir keine Antwort. Transparenzhinweis: Wir haben in dem Text die Korrektur von Herrn Wagner ergänzt, die er in einem Kommentar unter seinem Ursprungspost vornimmt.