„Andor“-Regisseur Tony Gilroy: „Das war ein wenig, wie wenn man als Eltern ein zweites Kind bekommt“ Drucken Teilen An die zweite Staffel des „Star Wars“-Polit-Thrillers werden hohe Erwartungen gestellt. © IMAGO Wie erzählt man im riesigen „Star Wars“-Universum noch originelle Geschichten? Showrunner Tony Gilroy und Darsteller Stellan Skarsgård über die Arbeit in der Franchise-Maschine und die zweite Staffel „Andor“. Nicht alles, was in den vergangenen paar Jahren aus dem „Star Wars“-Universum auf den Bildschirmen zu sehen war, sorgte für die gleiche Begeisterung wie früher die Kinofilme von George Lucas. Doch die Serie „Andor“, die als Science Fiction-Triller vom Rebellen-Spion Cassian Andor (Diego Luna) und seinen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern erzählt, stellt eine Ausnahme dar: zum Start 2022 hagelte es Kritiker:innenlob, Emmy-Nominierungen und jede Menge Preise. Nun startet am 23. April die zweite (und auch schon letzte) Staffel bei Disney+, was Anlass für Serienschöpfer und Drehbuchautor Tony Gilroy sowie Darsteller Stellan Skarsgård war, in einem Interview Rede und Antwort zu stehen. Mr. Gilroy, dieser Tage lässt sich der Erfolg von Streaming-Serien schwerer kalkulieren denn je, und man ahnt selten im Voraus, wie viele Staffeln einer Geschichte es letztlich geben wird. Wie früh wussten Sie im Fall von „Andor“, dass es nicht bei den ersten zwölf Episoden bleiben wird? Gilroy: In unserem Fall war die Situation eine ganz andere, denn ursprünglich war geplant, dass „Andor“ fünf Staffeln umfassen wird. Es sollten die fünf Jahre erzählt werden, die dem Kinofilm „Rogue One“ vorangehen, in denen Cassian Andor zum Rebellen-Offizier wird. Doch als wir nach diversen, Pandemie-bedingen Verschiebungen 2020 endlich mit den Dreharbeiten begannen, realisierten Diego Luna, der nicht nur Hauptdarsteller, sondern auch Mitproduzent ist, und ich, dass wir zu naiv an die Sache herangegangen waren. Wir hatten die Größenordnung dieser Produktion völlig unterschätzt. Nie im Leben wäre es uns möglich gewesen, fünf Jahre in fünf Staffeln zu erzählen. Dann wären wir, bei diesem Aufwand, 15 Jahre lang mit dieser Serie beschäftigt. Undenkbar. Wir mussten pragmatisch entscheiden und beschränkten uns auf zwei Staffeln, die jeweils unterteilt sind in vier Blöcke à drei Folgen. Die Struktur der Serie ist nun weniger aus künstlerischer Inspiration, sondern aus der Notwendigkeit geboren. Sie sind also in der Umsetzung der zweiten Staffel der Herangehensweise der ersten treu geblieben? Gilroy: Ja, denn wir wollten natürlich von den Erfahrungen profitieren, die wir beim ersten Mal gemacht hatten. Es war ein riesiger Vorteil, dass wir diesen Kraftakt schon einmal gemeistert hatten und genau wussten, welche Abläufe und Ansätze funktioniert haben. Das war ein wenig, wie wenn man als Eltern ein zweites Kind bekommt. Man ist viel besser vorbereitet und weiß, worauf man zu achten hat. Gleichzeitig ist aber natürlich der Nachteil, dass man auch weiß, wie anstrengend es werden wird. Mr. Skarsgård, wie haben Sie die Dreharbeiten zu den neuen Folgen empfunden? War es auch für Sie eine spürbare Erleichterung, dass Sie Ihre Figur und die Welt von „Andor“ bereits bekannten? Skarsgård: Nun, in gewisser Weise kann ich die Arbeit an den beiden Staffeln kaum vergleichen, denn für mich gab es dazwischen eine einschneidende Veränderung. Ich hatte einen Schlaganfall und wusste erst einmal nicht, ob ich überhaupt wieder würde arbeiten können. Als ich schließlich wieder vor der Kamera stand, konnte ich mir meinen Text nicht wirklich merken. Also musste ich lernen zu spielen, während mir jemand über einen Knopf im Ohr die Sätze soufflierte. Aber in jeder anderen Hinsicht machte es sich in der Tat bemerkbar, dass das Team recht eingespielt, die Maschinerie gut geölt und fast alle offenen Fragen längst geklärt waren. Alle großen Hindernisse hatten wir beim ersten Mal aus dem Weg geräumt. Stellan Skarsgård setzt seine Rolle auch nach einem Schlaganfall fort. © IMAGO Wie geht es Ihnen denn inzwischen, wenn Sie darüber sprechen mögen? Skarsgård: Ich bin weniger klug als vorher und weniger witzig. Außerdem bin ich schneller als früher von mir selbst gelangweilt und dadurch insgesamt nicht mehr so gesellig. Aber normalerweise sollte ich in meinem Alter nach so einem Schlaganfall tot sein. Gemessen daran geht es mir also mit meinen 75 Jahren ziemlich gut. Mitten während des Drehs zur zweiten Staffel fanden dann auch noch der Autoren- und der Schauspiel-Streik in Hollywood statt und unterbrachen Ihre Arbeit. Wie sehr hat das – inhaltlich wie praktisch – Ihre Pläne durchkreuzt? Gilroy: Von Verzögerungen abgesehen hatten die Streiks kaum Einfluss auf unsere Arbeit, was vor allem daran lag, dass wir – Covid sei Dank – ohnehin ein System etabliert hatten, das uns nun zugutekam. Als damals die Pandemie mitten in unseren Vorbereitungen alles zum Stillstand brachte, fällten wir die Entscheidung, den Schreib- und Planungsprozess komplett von den Dreharbeiten zu entkoppeln. Ich entschied damals, doch keine Episoden selbst zu inszenieren, und wir erarbeiteten die Drehbücher und alle Kostüm- und ähnlichen Entscheidungen mit einer Gründlichkeit vorab, wie sie höchstens bei Filmen, aber eigentlich nie bei Serien üblich ist. Die Vorbereitung bei uns war immer so perfekt, dass die Regisseure und Schauspieler genau wussten, was sie tun mussten, ohne dass ich ständig den Babysitter geben musste. Die anderen Autoren waren nie am Set, das gibt’s sonst auch nicht. Und tatsächlich hatte ich den letzten Schreibblock eine gute Woche vor Beginn des Autorenstreiks abgeschlossen. So konnte also erst einmal gedreht werden, ohne mich eben. Erst der Schauspiel-Streik sorgte dann tatsächlich für eine echte Unterbrechung. Showrunner Tony Gilroy bei der Premiere. © IMAGO/LounisPhotography/ABACA Verglichen mit anderen „Star Wars“- und sonstigen Franchise-Produktionen wirkt „Andor“ wie eine sehr persönliche Arbeit, beinahe wie ein gehaltvolles Auteur-Werk. Mr. Skarsgård, als jemand, der viel Erfahrung hat mit Hollywood-Blockbustern: Wie reiht sich die Serie da ein? Skarsgård: Ich stimme absolut zu, dass „Andor“ diesbezüglich sehr aus dem Rahmen fällt. Natürlich kann man nicht alle diese Franchises über einen Kamm scheren. An die „Fluch der Karibik“-Filme denke ich zum Beispiel gerne zurück. Das war bei den ersten Teilen aber auch noch durch und durch die Kreation des Regisseurs, und wir Schauspieler durften da ziemlich viel Spaß haben. Die vier „Marvel“-Filme, die ich gedreht haben, waren deutlich weniger angenehme Erfahrungen. Da waren die Regisseure eher Erfüllungsgehilfen in einer riesigen Maschinerie, und das Sagen hatten vier Manager im Anzug, die irgendwo in der Ecke das Geschehen am Monitor verfolgten. „Andor“ dagegen war wirklich ganz anders, handgemachte, kreative Arbeit, geprägt von Tonys Vision. Insgesamt hatten wir sechs verschiedene Regisseurinnen und Regisseure, aber es wirkte, als würden wir einen Film drehen, den ein einzelner Künstler zu verantworten hatte. Weswegen ich mich auch noch mehr gefreut hätte, wenn Tony die Serie selbst inszeniert hätte. Auch das Imperium ist wieder vertreten. © IMAGO Warum haben Sie das nicht, Mr. Gilroy? Gilroy: Ich hätte das längst nicht immer so gut gekonnt wie die, die es nun gemacht haben. Vor allem, weil ich nicht die Zeit dazu gehabt hätte. Als Showrunner ist man ja doch allzeit an allen Fronten beschäftigt. Aber wir haben zu Beginn nicht ein Regelbuch, aber doch eine Art Grammatik etabliert, an der sich alle orientieren konnten. Einfach damit klar ist, wie die Serie sich anfühlen und aussehen soll. Innerhalb dieses Rahmens sollte jeder so viel künstlerische Freiheit haben wie möglich. Trotzdem ist „Andor“ nun einmal Teil des großen „Star Wars“-Universums. Da gab es doch sicherlich sehr viele Vorgaben seitens Disney, oder? Gilroy: Weniger als Sie vielleicht denken. Natürlich fügt sich unsere Geschichte ein in ein großes, bereits bestehendes Narrativ, und wir hatten kein Interesse daran, das auf den Kopf zu stellen oder gegen irgendwelche Regeln zu verstoßen. Aber es war interessant festzustellen, wie viel Gestaltungsfreiräume wir hatten. Das fest in den „Star Wars“-Kanon gehörende Ghorman-Massaker zum Beispiel, das nun auch in unserer Serie eine Rolle spielt, ist längst nicht so klar beschrieben, wie man denkt. Das gab es viele konfuse und widersprüchliche Aussagen – und wir durften ein wenig Klarheit reinbringen. Und dass Sie – anders als etwa „The Mandalorian“ – so viel wie möglich an realen Drehorten und weniger mit digitalen Hintergründen und Green Screen arbeiteten, sorgte auch nicht für Diskussionen? Gilroy: Bei Disney segnete man unsere Vision von Beginn an ab und ließ uns dann wirklich machen. Wir hatten in kreativer Hinsicht alle Freiheiten und nervige Einmischungen blieben wirklich aus. Klar, Geld war immer wieder ein Thema, gerade bei der zweiten Staffel. Die Kassen der Streamingdienste sind längst nicht mehr so gut gefüllt wie vor einigen Jahren. Aber diesbezüglich ließen sich immer Lösungen finden. Viele Szenen in „Andor“ wurden vor Ort, nicht mit Green Screen gedreht. © IMAGO Mr. Skarsgård, zum Abschluss noch eine Frage an Sie, denn Sie sind im Mai bei den Filmfestspielen in Cannes in einem neuen Film zu sehen. Andere würden nach einem Schlaganfall den Ruhestand erwägen, Sie scheinen dagegen fast so fleißig wie vorher… Skarsgård: So fleißig, wie es gewirkt hat, war ich auch vorher gar nicht. In den letzten 20 Jahren habe ich selten mehr als vier Monate im Jahr gearbeitet. Zumindest, was die reine Drehzeit angeht. Aber aufzuhören ist für mich keine Option. Ich habe schließlich acht Kinder, die ich unterstütze. Plus inzwischen einige Enkel. Andere Leute machen Sport, für mich ist die Arbeit mein Training. Irgendwie brauche ich es, mit anderen Menschen zu kollaborieren und spannende Geschichten lebendig zu machen. Das hält, habe ich gemerkt, auch mich lebendig. Zu den Personen Tony Gilroy (68) ist amerikanischer Autor und Regisseur. Bekannt wurde er mit den Drehbüchern für „Im Auftrag des Teufels“ und „Armageddon“. Als Regisseur inszenierte er die „Bourne“-Trilogie und den Star-Wars Film „Rogue One“, weshalb er dann für die zugehörige Serie „Andor“ angeheuert wurde. Stellan Skarsgård (73) ist ein schwedischer Schauspieler, der sich mit zahlreichen Blockbuster- Auftritten etwa in „Fluch der Karibik“ oder „Mamma Mia“ sowie seiner Zusammenarbeit mit Regisseur Lars von Trier einen Namen in Hollywood gemacht hat. Die ersten drei Folgen der Serie „Andor“ sind ab heute über den Streaming-Dienst Disney Plus verfügbar. Neue Folgen erscheinen dann wöchentlich.