Göttlich wild: Ein überragendes Nick-Cave-Konzert auf Arte

Eine Trouvaille ist anzuzeigen. Ein zweieinhalbstündiges Erweckungserlebnis, tief versteckt in den Mediathektunneln von Arte. Einzig dem wackeren „Rolling Stone“ ist aufgefallen, dass dort neuerdings ein Konzertfilm zu finden ist, der sein eigenes Format sprengt. Das liegt nicht in erster Linie daran, dass der Mitschnitt sehr gut gefilmt ist und das genau richtige Maß zwischen Dynamik und Konzentration findet (Regie führte David Ctiborsky). Es liegt in diesem Fall ganz einfach an dem Konzert selbst. Man soll ja vorsichtig sein mit Emphase, aber ein Jahrhundertkonzert darf, nein muss als das bezeichnet werden, was es ist: eben ein Jahrhundertkonzert. Und wer so viel Pathos erst erträgt, wenn es aus quasi himmlischen Höhen beglaubigt wird, dem kann geholfen werden: Niemand Geringeres als Bob Dylan, inzwischen mehr ätherischer Mythos als Mensch, hatte sich unerkannt auf genau jenes Konzert am 17. November 2024 in der Pariser Accor Arena geschlichen und danach in einem raren Post auf X Begeisterung kundgetan. Über die seelenreinigende Tiefe, über die nur mit religiöser Erhabenheit vergleichbare Intensität der Konzerte von Nick Cave, fraglos einem der besten Musiker, Poeten und Performer unserer Zeit, ist viel geschrieben worden; über die in unsterbliche Musik verwandelte Trauer über den Tod zweier Söhne und den Zustand der Welt. Der Abschluss der mit Kirchenchor verstärkten „Wild God“-Tour zeigt ihn auf dem einsamen Höhepunkt seiner Kunst. Um die Dimension anzudeuten: Wenn irgendeine andere Band auch nur einen einzigen der Titel dieses Konzerts im Repertoire hätte und diesen mit nur der halben Energie zum Abschluss eines Abends spielte, dann hätte man ein sehr gutes Konzert erlebt. Hier ist es die pure Überwältigung: Es findet sich in dem zweieinhalbstündigen Auftritt nicht nur kein einziges schwaches Stück (sie reichen von den neuen Meisterwerken wie „Wild God“ oder „Joy“ bis zu Klassikern wie „Tupelo“, „Into My Arms“ oder „Jubilee Street“), es finden sich darin keine zwei schwachen Sekunden. Alles ist Perfektion, höchste Konzentration und mitreißende Wucht, weil alles bis in die letzte Note so authentisch ist, wie Musik nur werden kann. Die Erschöpfung nach der bislang größten Europatournee, die man Nick Cave und seiner Band The Bad Seeds zu Beginn anzusehen meint, wirkt erstaunlicherweise wie ein zusätzlicher Antrieb, der sie über sich selbst hinaushebt. Es ist, als kulminierten in diesen zweieinhalb Stunden 80 Jahre Rock- und Pop- und Jazz- und Punk- und Gospeltradition. An alle da draußen, die in komplizierter Fummelei ihre Stereoanlage mit dem riesigen Flachbildbildschirm gekoppelt haben: Das hier ist die eine Aufnahme, für die es sich gelohnt hat. Und sie bleibt nur wenige Wochen zugänglich.