Eine Freundin wie ein Schmetterling: Kennen Sie auch diesen ganz bestimmten Berlin-Typus?

„How are you, darling?“, stürzt sich meine Freundin auf mich, ihre Cowboy-Boots und ihre leicht abgewetzte Lederjacke abwerfend, unter der sie ein langes weißes Kleid trägt. Wir sind in der Wohnung eines anderen Freundes, in dessen Abwesenheit ich seine Pflanzen gieße. Meine Freundin reicht mir einen Pulli, den sie sich irgendwann mal ausgeliehen hat. Sie ist eine dieser Frauen, wie sie so häufig in Berlin vorzukommen scheinen: Sie müssen immer etwas bei Freunden abholen oder zurückbringen, backen Kuchen für Geburtstage, sind stets informiert über die neuesten Entwicklungen im Freundeskreis, mit einer Veranlagung zum Gossip, aber einer jenseits des Sozialen leicht unterdurchschnittlichen Auffassungsgabe. Am Wochenende haben sie meist irgendwo einen Gästelistenplatz, eine Brunch-Einladung, eine Flohmarktverabredung und ein Date, das in der Regel in einem One-Night-Stand und ab und zu in einer Situationship endet. So geht das, bis sie nach einigen Jahren Großstadt einen Partner kennenlernen, mit dem sie nicht selten in die Kleinstadt zurückziehen. Eine Zeit lang kann man eng mit diesen jungen Frauen befreundet sein, zumindest bis die „social butterflies“ sich durch neue Bekanntschaften oder Affären und manchmal auch durch einen Streit, der sich schon lange anbahnte, wieder entfremden – einige Monate später läuft man sich dann über den Weg und wird mit einem inspizierenden Blick auf einer Party begrüßt, der das eigene Aussehen indirekt zu kommentieren scheint. Die Teller sind möglichst klein, der Service spricht nur Englisch Etwas später jedenfalls geht es für uns ins JAJA, eines der unzähligen in den vergangenen Jahren neu eröffneten Restaurants in Neukölln, die auf charakteristisch kleinen Tellern ästhetisch ausgeklügelte Speisen zum Teilen anbieten – ein Trend übrigens, der sich so in hippen und zunehmend gentrifizierten Bezirken nicht nur europäischer Großstädte etabliert hat. Das Innere dieser Lokale ist meist ebenso minimalistisch gehalten: Zwischen Wänden, deren Kalkputz eine Rohheit oder Industrie-Ästhetik offenbart, die das Gegenteil des sozialen Milieus der Wohnungs- oder Restaurantbesitzer darstellt, sitzen unter dem Licht von Holzlampen nordischen Designs junge Kreative oder solche, die es werden wollen. Meist legt man dort Wert auf Produkte regionaler Herkunft und wird nicht müde zu betonen, dass hier alles „mit Liebe und Zuwendung“ hergestellt sei. Und die Liebe gilt es zu teilen: Kein Gericht ist dafür gedacht, es für sich allein zu bestellen: „All dishes are meant to share J“, heißt es mit einem leicht aggressiv wirkenden Smiley am Ende der natürlich englischsprachigen Karte. Secondhand-Designerästhetik, Finger voller Silberringe, kurze Ponys und gelockte Vokuhilas, Rüschen und Strick, androgyne Looks, Feinripphemden und lange Gelnägel. Auf den Menüs stehen neben Naturweinen nicht selten Fenchelsalate, ob nun mit Buttermilch und Grapefruit, mit grünen Oliven, Mandeln und eingelegten Aprikosen oder, wie heute, mit Anchovis und Petersilie. Und nie darf Sauerteigbrot mit angemachter Butter fehlen! Oft gibt es auch ein Carpaccio oder einen filetierten Fisch, der mit farblich aufeinander abgestimmten Zutaten wie ein kleines abstraktes Kunstwerk aussieht. Hier wird alles geshared: Restaurants wie das JAJA bestehen aufs Teilen. JAJA Der Service ist jung, häufig ebenso englischsprachig wie die Karte und erklärt äußerst freundlich, sollte man etwas nicht verstanden haben. Auch wenn diese Small-Plates-Lokale jenseits bestimmter Akzentsetzungen– wie einem Fokus auf französische Küche oder Sake-Wein – austauschbar und gleichförmig wirken, lassen das Essen und der Wein nur selten enttäuscht zurück. Ohne dass ich der sich überschneidenden Namensgebung zu viel Reflexion widmen kann, gehen wir im Anschluss an das Essen im JAJA auf die Eröffnungsparty des neuen Studios HAHA in Kreuzberg, bleiben aber nicht allzu lang. Am nächsten Tag schlendere ich zum „basic bitch Saturday“ mit einem Matcha durch Mitte, gehe zum Yoga, tue in einem Café so, als würde ich ein Buch lesen, beobachte aber eigentlich den jungen Franzosen in der dunkelblauen Jeansjacke, dem das wohl nicht entgangen ist und der mir zum Abschied zuzwinkert. So ein ruhiges Wochenende kann wirklich Wunder wirken Auch das kann das Highlight eines Berliner Wochenendes sein – schließlich beginnt das nächste schon am Donnerstag und verspricht mit dem 1. Mai, dem Gallery Weekend und einigen Geburtstagen ein aufgeregtes zu werden, für das man an diesem ruhigeren seine Kräfte schont. Am Sonntagmorgen wache ich nach ruhiger Nacht zu einigen Nachrichten von Freunden auf, die wissen wollen, ob ich noch auf die eine oder andere Party komme. Statt bis in den Nachmittag zu schlafen oder, schlimmer noch, wach zu sein, hole ich mir in meinem Stammcafé um die Ecke einen Kaffee und setzte mich in die Sonne. „Ja, ihm geht es wirklich nicht gut“, unterhalten sich zwei junge Herren auf den Plätzen hinter mir. „Er kommt momentan im Grunde gar nicht wirklich ohne Hilfe zurecht, aber das ist natürlich auch eine Belastung für sein Umfeld.“ Sie sprechen darüber, dass ihr Freund „nicht okay“ sei, trotz Krankenhausaufenthalt noch nicht genesen, wirres Zeug redend, dissoziierend, Muster und Bedeutungszusammenhänge und Systeme sehend, wo keine sind. Psychosen, besonders drogeninduzierte, sind keine Seltenheit in dieser Stadt. Eine Freundin, Therapeutin in einer Berliner Klinik, die selbst nicht ungern ausgeht, berichtete von Patientinnen und Patienten, die durch Drogenkonsum psychotisch wurden, um letztlich auf einer Station mit denjenigen zu landen, die sie letzte Woche noch beim Feiern trafen. Damit das nicht passiert, braucht man die ruhigeren Wochenenden. Und die Schmetterlingsfreundinnen. Und die Small Plates. Suri Manelis lebt in Berlin, ist aber nur selten zu Hause. In ihrer Kolumne berichtet sie von ihren Wochenenden zwischen den Bars und Clubs, den noblen Restaurants und angesagten Galerien der Stadt. Spoiler: Es wird wild!