Missing Link: Eine Black Box für mehr Flugsicherheit

Bei Flugzeugunfällen liefert der Flugschreiber Daten, die für die Aufklärung unschätzbar wertvoll sind. Erfunden hat das Gerät ein australischer Tüftler. Der Flugschreiber im Heck einer Boeing 747. (Bild: M.J.J. de Vaan/Shutterstock.com) Fliegen ist eines der sichersten Verkehrsmittel, das es gibt. Laut der internationalen Luftfahrtorganisation IATA gab es im Jahr 2024 nur sieben Unfälle mit Todesfolge bei insgesamt 40,6 Millionen Flügen in der kommerziellen Verkehrsluftfahrt. Das war allerdings nicht immer so. Nach den Pionieren der Lüfte und zwei Weltkriegen kam es zu einem Boom in der kommerziellen Verkehrsluftfahrt. Passagierflugzeuge, zunächst noch mit Propellerantrieb, wurden ein beliebtes Verkehrsmittel. Mit der Comet des britischen Flugzeugbauers de Havilland wurden ab 1952 die ersten Passagierflüge mit einem Düsenjet durchgeführt, ab 1958 verkehrte die Comet erstmals auf der Transatlantikroute zwischen London und New York. Doch die Comet setzt noch einen weiteren, traurigen Meilenstein: Der erste tödliche Flugunfall mit einem düsengetriebenen Passagierflugzeug 1953. Etwas später kommt es dann zu weiteren Abstürzen von Comets, deren Ursache sich die Experten zunächst nicht erklären können. Bei den australischen Aeronautical Research Laboratories in Melbourne untersucht der Treibstoffexperte David Warren die Unfälle der Comets. Nachdem er auf einer Messe ein tragbares Aufnahmegerät gesehen hatte, kam ihm eine Idee: Warum nicht auch die Stimmen im Cockpit aufzeichnen, um zusätzliche Informationen zu erhalten? Geräte, die rudimentäre Flugdaten aufzeichneten, gab es bereits. (Bild: Australian Department of Defence/gemeinfrei) Warren, der am 25. März vor 100 Jahren geboren wurde, gilt als Vater der modernen Flugschreiber, die heute als Flight Data Recorder (FDR) und Cockpit Voice Recorder (CVR) in den allermeisten Verkehrsflugzeugen zu finden sind. Es gibt die sogenannte "Black Box" auch als Kombigerät mit dem Namen Cockpit Voice and Data Recorder (CVDR). Im April 1954 veröffentlicht Warren ein Technical Memorandum, das in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen zitiert wird: "A Device for Assisting Investigation into Aircraft Accidents." Warren bezieht sich in seinem Papier direkt auf die Abstürze der Comets. So richtig wurde Warrens Arbeit erst sehr spät gewürdigt, wie Jeremy Sear 2001 in "The ARL ‘Black Box’ Flight Recorder – Invention and Memory" (PDF) ausführlich darstellt. Die Dokumente hat Ken Fraser, der mit Warren zusammenarbeitete, auf seiner lesenswerten Website veröffentlicht. Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen. 2002 würdigte auch Australien seine konzeptionelle Arbeit bis hin zum Prototypen der Black Box und verlieh Warren den Orden Officer of the Order of Australia. In der kommerziellen Luftfahrt sind die Geräte schon seit geraumer Zeit Pflicht. In den 1960er Jahren sorgte ein australischer Richter als erstes dafür, dass australische Fluggesellschaften einen Flugschreiber einbauen. In einem Gerichtsverfahren zu einem Flugunfall erfuhr der Richter von der Entwicklung einer Black Box durch Warren, wie Fraser auf seiner Webseite beschreibt. Im Laufe der Jahre wurde daraus eine weltweite Nutzungspflicht – in einem TV-Interview fragte sich Warren später, warum die Amerikaner so viel länger gebraucht haben, die Technik einzuführen. Ohne die Black Boxen für Stimme und Daten geht es heutzutage nicht, auch wenn es bei der Umsetzung regionale Unterschiede gibt. Warren profitierte jedoch nicht von der Entwicklung, da das Gerät nicht patentiert wurde. Der Stimmenrekorder zeichnet dabei nicht nur die Gespräche im Cockpit auf, wie der Name es vielleicht suggeriert. Wie die US-Luftfahrtbehörde National Transportation Safety Board (NTSB) es beschreibt, befindet sich in der Regel ein Mikrofon in der Schalttafel oberhalb der Cockpit-Crew, das auch Nebengeräusche aufzeichnet, wie das Ausfahren der Fahrwerke, Warnmeldungen der Instrumente oder sogar Geräusche der Triebwerke. Der Datenrekorder muss laut NTSB mindestens 88 Parameter aufzeichnen. Moderne Flugschreiber nehmen aber mittlerweile mehr als 1000 Parameter auf. Die Anforderungen an die Flugschreiber sind im Laufe der Jahre immer höher geworden, nicht zuletzt, weil in vielen Unfällen neue Schwächen entdeckt werden. Eine moderne Black Box muss Temperaturen bis 1100°C für mindestens eine Stunde aushalten können. Sie soll beim Aufprall Belastungen von bis zu 3400 G überstehen. Die Flugschreiben müssen einem Wasserdruck in einer Tiefe von über 6000 Meter überstehen können und selbst dann noch lokalisierbar sein, allerdings nur für 30 Tage. Während der CVR in Europa 25 Stunden aufzeichnet, sind in den USA noch 2 Stunden vorgeschrieben, in älteren Modellen sind es teilweise nur 30 Minuten. Aber auch die US-Behörden wollen die längeren Aufzeichnungen durchsetzen. Die Flugschreiber verfügen über proprietäre Schnittstellen, über die gespeicherte Daten ausgelesen werden – wenn der Zustand der Black Box nach einem Unfall das zulässt. Die Flugdaten werden auf rotierenden Festplatten und bei jüngeren Modellen auch SSDs gespeichert. Sollten die Schnittstellen zerstört worden sein, können die Daten in speziellen Laboren auch direkt vom Speichermedium wiederhergestellt werden. Unfehlbar sind Flugschreiber aber nicht, wie Unfälle der letzten Jahre immer wieder zeigten. Dass die Black Box ihren Standort nur 30 Tage lang sendet, war etwa im Fall der verschwundenen Malaysia Airlines MH370 ungünstig. Die 2014 verloren gegangene Maschine wurde bis heute nicht gefunden. Bei der Bruchlandung von Jeju Air Flug 2216 in Südkorea haben die Flugschreiber, die bei der Aufklärung helfen sollten, kurz vor dem Absturz aufgehört, Daten zu speichern. Selbst wenn nicht definitiv herausgefunden werden kann, warum die Flugschreiber mit der Aufzeichnung aufhörten: Alleine die Untersuchung der Szenarien dürfte zumindest Diskussionen anstoßen, ob die Flugschreiber nicht noch weiter verbessert werden können. Es ist zudem davon auszugehen, dass die Flugschreiber zumindest bis zum Ende der Aufzeichnung noch wertvolle Daten liefern – vielleicht sogar konkrete Hinweise auf den Unfallhergang. 2024 zeigte trotz des tragischen Unglücks in Südkorea deutlich, wie selten Abstürze sind. Die IATA verzeichnet für 2024 insgesamt sieben tödliche Unfälle bei 40,6 Millionen Flügen. Dabei sind im vergangenen Jahr 244 Menschen in einem kommerziellen Verkehrsflugzeug ums Leben gekommen, 179 davon saßen in Flug 7C2216 der Jeju Air. Damit war 2024 ein eher schlechtes Jahr, denn im 5-Jahres-Schnitt kommen nur 144 Menschen pro Jahr in einem Verkehrsflugzeug ums Leben. Aber selbst in diesem schlechten Jahr müsste ein Fluggast laut IATA im Durchschnitt für 15.871 Jahre jeden Tag mit einem typischen Verkehrsflugzeug reisen, um in einen tödlichen Unfall verwickelt zu werden. Nicht zuletzt dank David Warren, der folgenden Entwicklungen rund um die Flugschreiber und der mittlerweile zum Standard gewordenen Auswertung von Daten nach Unfällen ist die Luftfahrt so sicher geworden, wie sie heute ist. Die Ermittler der Comet-Abstürze in den 1950er Jahren konnten noch nicht auf die Daten eines Flugschreibers zurückgreifen. Auf zwei Flügen waren die Maschinen in der Luft auseinandergebrochen. Nach zahlreichen Tests stellte sich heraus: Die leichte Konstruktion der Comets war dem zyklischen Druckwechsel der Kabine auf Dauer nicht gewachsen. 15,871 Jahre wurde in der deutschsprachigen Fassung in 15.871 Jahre geändert, es handelt sich um einen Tausenderpunkt, kein Komma. (vbr) Keine News verpassen! Jeden Morgen der frische Nachrichtenüberblick von heise online Ausführliche Informationen zum Versandverfahren und zu Ihren Widerrufsmöglichkeiten erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung. Immer informiert bleiben: Klicken Sie auf das Plus-Symbol an einem Thema, um diesem zu folgen. Wir zeigen Ihnen alle neuen Inhalte zu Ihren Themen. Mehr erfahren. Exklusive Tests, Ratgeber & Hintergründe. Unbegrenzter Zugriff auf alle heise+ Beiträge inkl. allen Digital-Magazinen.