Für die meisten ist die künftige Wirtschaftsministerin Katherina Reiche ein unbeschriebenes Blatt. Doch in ihrem ersten Leben als Politikerin fiel sie durchaus auf. Als kenntnisreich, wirtschaftsnah und stramm konservativ. Außer im Privatleben. In der Öffentlichkeit gibt es viel Lob für Katherina Reiche, die neue Bundeswirtschaftsministerin werden soll. Eine Managerin, früher Geschäftsführerin des Verbands kommunaler Unternehmen, jetzt Chefin des Energiekonzerns Westenergie, die zugleich politische Erfahrung mitbringt. Was will man mehr? Von 1998 bis 2015 gehörte sie für die Brandenburger CDU dem Deutschen Bundestag an. Als Politikerin hat sie immer wieder stark polarisiert, besonders beim Thema gleichgeschlechtliche Ehe - damals ein zentraler Streitpunkt. Als aktive Politikerin war Reiche lange für dei Familienpolitik zuständig. Der damalige Kanzlerkandidat Edmund Stoiber von der CSU hatte sie für den Fall eines Wahlsieges 2002 als Familienministerin vorgesehen. Nach dem knappen Sieg von SPD und Grünen wurde daraus bekanntlich nichts. Reiche verkörperte ein streng konservatives Familienbild. Hervor stach ihre Ablehnung der Ehe für alle, die sie über ein Jahrzehnt lang bekämpfte. Die konservative Hardlinerin Als die rot-grüne Regierung 2001 mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz erstmals einen ersten Schritt für die rechtliche Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Paaren unternahm, war Reiche empört. Einen "Angriff auf Ehe und Familie" nannte sie das Gesetz, obwohl es von einer Ehe für zwei Männer oder zwei Frauen noch meilenweit entfernt war. Das ist erst seit 2017 möglich. Ihre Haltung leitete Reiche vor allem aus ihrem Glauben ab. Noch heute trägt die evangelische Christin häufig eine Kette mit silbernem Kreuz. Auch in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner" warb Reiche 2012 dafür, homosexuelle Paare anders zu behandeln als verschiedengeschlechtliche. (Foto: imago stock&people) In der "Bild"-Zeitung stellte sie 2012 einen Zusammenhang zwischen der niedrigen Geburtenrate in Deutschland und der rechtlichen Gleichstellung Homosexueller her: "Unsere Zukunft liegt in der Hand der Familien, nicht in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften. Neben der Euro-Krise ist die demografische Entwicklung die größte Bedrohung unseres Wohlstands." Homosexuelle drängte sie gleich komplett aus der gesellschaftlichen Mitte heraus: "Die Gesellschaft wird nicht von kleinen Gruppen zusammengehalten, sondern von der stabilen Mitte." In Talkshows bezeichnete sie homosexuelle Paare als "nicht normal". Wie sie heute darüber denkt, ist unklar. Obwohl sie hier an der Grenze zum Reaktionären entlangschrammte, handelte sie sich damals mit ihrer liberalen Einstellung zur Stammzellenforschung auch Kritik von Konservativen ein - auch von Friedrich Merz. Typ Politiker-Beziehung Privat lebte Reiche selbst nicht nach streng konservativem Lehrbuch. Ihre ersten zwei Kinder brachte sie als unverheiratete Frau zur Welt. Weil sie gleichzeitig für Stoiber das Aushängeschild der Unions-Familienpolitik war, murrte die katholische Kirche. Die Deutsche Bischofskonferenz versuchte sogar, ihren Einfluss in der Union zurückzudrängen. Erst ein Jahr nach der Geburt ihrer Tochter 2002 heiratete sie ihren Lebensgefährten Sven Petke. Eine echte Politiker-Beziehung, denn auch Petke war in der brandenburgischen CDU aktiv: Reiche saß im Bundestag, Petke im brandenburgischen Landtag. Zu den ersten zwei Kindern kam noch ein drittes hinzu. Die Ehe ging aber in die Brüche. Reiche lebt mittlerweile mit einem neuen Partner zusammen. Und auch der hat eine politische Vergangenheit: Karl-Theodor zu Guttenberg. Der ehemalige Politiker war Bundesverteidigungsminister, bevor er 2011 nach Plagiatsvorwürfen in seiner Doktorarbeit zurücktreten musste. Gemeinsam gesehen wurde das Paar erstmals an Silvester zum Jahreswechsel 2023/24. Öffentlich bestätigt haben Reiche und zu Guttenberg ihre Beziehung am Dienstag, als sie über einen Anwalt wissen ließen: Es sei richtig, dass sie bereits vor geraumer Zeit eine Beziehung eingegangen seien. Die Drehtür-Lobbyistin Gemeinsam haben Reiche und zu Guttenberg, dass beide nach ihrer aktiven Zeit in der Politik in der freien Wirtschaft gearbeitet haben. Reiches Wechsel war so nahtlos, dass er eine Welle von Kritik auslöste. Zuvor war Reiche 2009 zur parlamentarischen Staatssekretärin aufgestiegen, zunächst im Umweltministerium, dann im Verkehrsministerium. 2015 wechselte sie aus ihrem Amt in der Bundesregierung zum Verband kommunaler Unternehmen, der die Interessen zahlreicher Betriebe, vor allem kommunaler Energieversorger und Stadtwerke, vertritt. Einmal Lobbyismus und zurück, so nun der Vorwurf. Grünen-Chef Felix Banaszak forderte Reiche am Dienstag zur Transparenz auf: "Wem sieht man sich eigentlich verpflichtet? Welches Adressbuch nimmt man mit?", fragte er im ntv-Frühstart. Andere sehen in Reiches Erfahrungen in Privatunternehmen einen Vorteil, etwa CDU-Chef Merz. "Sie hat erfolgreich in der Wirtschaft einige Zeit gearbeitet, auch als Vorstandsvorsitzende eines großen Unternehmens", sagte er bei ihrer Vorstellung auf dem kleinen Parteitag der CDU am Montag. Ihr damaliger Wechsel sorgte als Negativ-Beispiel jedenfalls mit dafür, dass der Bundestag im Juli 2015 Karenzzeiten für den Wechsel von Amtsträgern in neue Beschäftigungen einführte. Reiches Jobwechsel wäre nach der heutigen Rechtslage nicht mehr ohne Weiteres möglich. In der Regel müssen zwischen Ausscheiden aus einem Minister- oder Staatssekretärsamt in der Bundesregierung und einer Tätigkeit in der freien Wirtschaft nun mindestens zwölf Monate liegen. In ihrem neuen Amt wird Reiche sich um die Wirtschafts- und Energiepolitik kümmern. Pragmatisch, konservativ, strukturiert, kenntnisreich, wirtschaftsnah. Das ist Katherina Reiches Profil zum Start als Bundesministerin. Ihr Vorgänger hat gezeigt, dass sich das im Laufe der Amtszeit stark verändern kann.