Vor drei Jahren wurde Win Butler von Arcade Fire von mehreren Opfern beschuldigt, sie sexuell bedrängt zu haben. Der Sänger versprach, sich zu bessern. Nun erscheint ein neues Album der Band. Wie geht man als Fan damit um? Ein Dilemma, aus dem es genau zwei Auswege gibt. Anzeige Ob Arcade Fire nun als größte Band im früheren 21. Jahrhundert galt, weil sie so auftrat oder weil es das Musikgeschäft und ihre Anhänger damals behaupteten: Sie war es nur so lange, bis ihr Vorsänger Win Butler in Verdacht geriet, sich jüngeren Frauen aufgedrängt zu haben. Er habe in Chats nach Nacktfotos und mehr verlangt und einen weiteren Fan, der sich als non-binär verstand, in dessen Wohnung heimgesucht und gegen seinen Willen geküsst sowie berührt. Win Butlers Aura als singender Wanderprediger war dahin. Zumal im sogenannten Indierock als einer anderen Popmusik für bessere Menschen. Der Skandal liegt drei Jahre zurück. „Pink Elefant“ heißt jetzt das Album dazu. Arcade Fire widmen es dem Phänomen, dass sich Gedanken umso hartnäckiger im Gehirn einnisten, je mehr sie verdrängt werden. Der rosa Elefant im Kopf wäre in diesem Fall der Machtmissbrauch eines MeToo-geläuterten und reumütigen Mannes mittleren Alters. Die zehn Songs werden von einem Video begleitet, in dem Butler und Régine Chassagne, seine Ehefrau, Muse und Eurydike (er sieht sich selbst als postmodernen Orpheus), glücklich durch die Gegend fahren. Auf der Kühlerhaube sitzt ein rosa Elefant aus Plastik. In „Pink Elephant“, dem Titelsong, singt er für sie: „An den dunkelsten Orten sah ich, wie du lächelst. Da könnte ich weinen.“ Anzeige Als die Sünden vor drei Jahren ans Licht kamen, veröffentlichte Butler selbst einige Chatverläufe, um seine Schuld einzuräumen, aber auch, um zu beweisen, dass der Austausch mit den Opfern weitestgehend einvernehmlich war und um sich zu entschuldigen – bei seiner Frau. Chassagne verzieh ihm öffentlich: „Er kam vom Weg ab, und er fand wieder zurück auf seinen Weg.“ Die Band ging auf ihre Tournee zum damaligen Album „WE“ und machte es zum großen Wir der Gruppe und ihrer Gemeinde. Die Sängerin Feist beendete die Freundschaft und die Weltreise mit Arcade Fire aus Protest und spendete sämtliche Vorschüsse an „Women’s Aid“. Fans fragten sich über soziale Medien selbst und gegenseitig: Darf man da noch zum Konzert? Und was ist jetzt, drei Jahre später, mit „Pink Elephant“? Es ist immer das Gleiche, seit 2019. Als sich Ryan Adams, der „Bob Dylan des Indierock“, am MeToo-Pranger wiederfand, nachdem entsprechende Geschichten, irritierende Chats und seine Neigung öffentlich geworden waren, sich vor hoffnungsvollen Nachwuchssängerinnen zu entblößen, griff er die Berichterstatter an, berief sich auf eine gewisse Einvernehmlichkeit bei allem und versprach, zur Therapie zu gehen. Er verhielt sich wie Win Butler später und wie viele andere: Ein übergriffiger Star übt sich in Selbstmitleid und macht sich selbst zum Opfer. Anzeige Cover-Artwork für „Pink Elephant“ von Acade Fire Quelle : MSC Das Musikgewerbe war mit seinen flachen Hierarchien für falsche Vertraulichkeiten, die zugleich so steil sind, dass sich die Vertraulichkeiten leicht missbrauchen lassen, immer eine Brutstätte toxischer Männlichkeit. Andererseits: Was kann ein Unternehmen tun, wenn sich in den sozialen Medien etwas zusammenbraut, Recherchen seriöserer Medien darauf aufbauen und Klagen und Verfahren niemanden be- und entlasten können? Einige erklären die Zusammenarbeit mit ihren verhaltensauffällig gewordenen Künstlern kurzentschlossen für beendet. Andere stellen Awareness- und Diversity-Manager ein. Und wieder andere stellen sich vor ihre im Shitstorm stehenden heiligen Geldkühe und berufen sich auf die Unschuldsvermutung. Die Fälle sind vielfältig. Von Michael Jackson, der von allen Anklagen des Missbrauchs Minderjähriger von einer gnädigen Jury freigesprochen wurde, bis R. Kelly, der für 30 Jahre, rechtskräftig verurteilt, im Gefängnis sitzt. Der Strafprozess gegen P. Diddy, ebenfalls in Haft, wird bei erdrückender Beweislage am 5. Mai eröffnet. Klagen gegen Rockstars alter Schule, die aus ihrem Groupiekonsum kein Geheimnis machen, wie Marilyn Manson und Till Lindemann wurden verhandelt – um juristisch festzustellen, dass sich Sexualmoral, solange keine Straftat nachzuweisen ist, nicht vor Gericht verhandeln lässt. Bei nicht einmal verhandelbaren Fällen, bei Ryan Adams und Win Butler, bleiben die MeToo-Anklägerinnen auf ihrer Empörung sitzen.