"Tatort" Wien: Ich heiß' Ratte
In Wien hat der Petrolismus, beliebt bei Ausstattung und Kamera, zuletzt zweimal in Folge reüssiert. Diesen Lauf bremst der neue Tatort aus der österreichischen Metropole aus – in Messer (ORF-Redaktion: Bernhard Natschläger, Kerstin Bertsch) sucht das Szenenbild von Enid Löser sein Glück im Gräulichen. Das verspricht Eleganz und Understatement. Einerseits. Andererseits heißt Grau nicht zufällig so. Es gibt schon Farben, die weniger kühl und zurückhaltend durchs Leben gehen. Grellere Töne sind an das Outfit von Assistentin Meret Schande (Christina Scherrer) delegiert, die gerade Mutter geworden ist und mit Trainingsjacke über Tigerprint fashionseitig so was wie street credibility vermitteln soll. Das wirkt leider nicht nur im Zusammenspiel mit der olivesken Bibi (Adele Neuhauser) und dem blauen Eisner (Harald Krassnitzer) etwas bemüht (Kostümbild: Anita Stoisits). Immerhin passt die kühle Anmutung in den statischen Kadragen (Kamera: Gero Lasnig) zu der Szene, in die Messer einführt. Ermordet wurde André Brauer (Daniel Keberle), Chef eines Haubenlokals, wie die Sternegastronomie in Österreich heißt. An der diskreten, von Perfektion getriebenen Welt der Spitzenkochkunst zeigt der Tatort einiges Interesse. So wird in einer Sequenz ausführlich die Hierarchie in der Küchenbrigade durchgegangen, was ein wenig an Leander Haußmanns Film Sonnenallee (1999) erinnert. Da zählte in einer legendären Szene Henry Hübchens Pantoffelheldenvater dem von Detlev Buck gespielten ABV alle Armeedienstgrade auf, um zu beweisen, dass er ein guter DDR-Bürger ist. Dem Tatort ist hier allerdings nicht nach Komik, den Blick hinter die Kulissen vom besten Essen meint er ernst. Aufgeboten werden Geschichten aus der Druckkammer der Hochleistungsgesellschaft: dass die Küchenleute sich die Wunden "abbrennen", wenn sie sich schneiden, zu Medikamenten greifen oder zum Ausgleich intensiv feiern gehen. Ungerührt berichtet Lisa (Lisa Schützenberger), Chef de Partie Süßspeisen, vom Machtmissbrauch, der in der Szene herrscht: "Sexuelle Belästigung in der Gastro – das ist wie Zwiebelschneiden." Matthias Dell schreibt seit 2010 wöchentlich über Tatort und Polizeiruf 110. Auf ZEIT ONLINE seit 2016 in der Kolumne Der Obduktionsbericht. Lisa ist die zweite der möglichen Verdächtigen, die von der Bibi und dem Eisner nacheinander befragt werden. Den Anfang macht ein "Ratte" genannter Kollege (Manuel Sefciuc), der schon mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und drogenabhängig war und damit arg suspekt erscheint. Es ist ein einfacher, nicht ganz wirkungsloser Kniff, diesen Kandidaten früh zu präsentieren und danach mit anderen Motivationen abzulenken, um ihn am Ende als tatsächlichen Täter wieder aus dem Hut zaubern zu können. Ratte hatte den tyrannischen Chef umgebracht, um seinen Halbbruder, Souschef Lars Eidmann (Simon Morzé), aus dessen fataler Abhängigkeit zu befreien. Weil Lars süchtig nach der Arbeit und Anerkennung durch den Vorgesetzten ist, wollte er gar auf die Behandlung eines Aneurysmas verzichten, um keinen Tag in der Küche zu fehlen. Die cleane und strenge Ausstattung des Films passt damit auch zu dem durch und durch konventionellen Fall, einem klassischen und nicht weiter aufregenden Whodunit. Die Inszenierung (Regie: Gerald Liegel) versucht, die Befragungen durch theatrale Rückblenden ein wenig aufzubrezeln; da stehen dann die Bibi und der Eisner in der Küche bei laufendem Betrieb, aber für diesen unsichtbar, und lassen sich von Ratte die Zusammenhänge erklären. Leberkäs-Connection: Der Inkasso Heinzi (Simon Schwarz, links) und die Bibi (Adele Neuhauser) im Wiener "Tatort" © ARD Degeto Film/ORF/Hubert Mican Schön ist der Schnitt (Alexandra Löwy), weil humorvoll. Vom tropfenden Wasserhahn in der Gastroküche geht's zum letzten Tropfen der vermaledeiten Bürokaffeemaschine, vom Herdknopf zum Türöffner, und am Ende des desillusionierten Lisa-Berichts über die Belästigungen am Arbeitsplatz wechselt der Film das Bild von Lisa und dem Stichwort "Atombombe" leicht rauschend zum Fertig-Pling der Mikrowelle im Büro. Am allerschönsten sind in Wien natürlich die beiden Hauptfiguren, die aus dem Gewöhnlichen etwas Besonderes machen, ein tolles Duo. Der Eisner diesmal mit leichtem Altersscheitel, die Bibi verzagt – sie zweifelt am Sinn der Arbeit und will von denen ewigen Morden weg. Ist sich aber nicht sicher, was das ihrer Beziehung zum Eisner antut, der wiederum glaubt, Bibi gehe seinetwegen. Ein Geplänkel, das heftigen Streit und tiefe Versöhnung produziert – und, als Klammer, die Rückkehr vom "Inkasso-Heinzi" (mit viel Lust am dösbaddeligen Charakter: Simon Schwarz). Den besucht die Bibi im Gefängnis, weil sie sonst keinen zum Reden hat. So wird der Verbrecher zum Metakommentator eines Krimis – und mit ein paar Leberkässemmeln versorgt.