Die Koalition steht – und die beiden Fraktionen, die nun also die Koalition bilden werden, sind digitalpolitisch ganz ähnlich aufgestellt: Digitaltechnik ist für die Sicherheit und für die Wirtschaft da. Der kürzlich verabschiedete Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD zeigt jetzt, wie viel Schlagseite die Digitalpolitik unter Schwarz-Rot wirklich haben wird, denn im Kern kündigt er zwei Dinge an: einen starken Staat, der digital modernisiert werden und dafür ein eigenes Ministerium unter CDU-Führung erhalten soll, und zugleich die Schaffung jeder Menge neuer Befugnisse für die Sicherheitsbehörden, eine weitgehende Absage an einen starken Datenschutz. Dazwischen geht es stark in die Richtung eines zügellosen und blinden Einkaufs von Schlangenöl – also das ganze Gerede über künstliche Intelligenz. Anzeige Ein Kommentar von Falk Steiner Falk Steiner ist Journalist in Berlin. Er ist als Autor für heise online, Tageszeitungen, Fachnewsletter sowie Magazine tätig und berichtet unter anderem über die Digitalpolitik im Bund und der EU. Die soll bei nahezu allem helfen, was nicht gut läuft: Wirtschaftsaufschwung? KI. Personalmangel? KI. Verwaltungsdigitalisierung? KI. Und Polizeiarbeit, die an ihre Grenzen kommt? KI-basierte Automatisierung. Das riecht streng nach Technosolutionism, also dem Glauben daran, dass man nur ausreichend Technik benötigt, um vorhandene Probleme zu lösen. Das lästige Nachdenken kann man ja vielleicht gleich dazu abgeben. Damit die KI das Denken aber auch zuverlässig übernehmen kann, sollen die deutschen Datenberge angegraben und nutzbar gemacht werden. Dem steht der Schutz personenbezogener Daten im Wege, der wäre also abzubauen. Und um endlich das durchzusetzen, was bislang an digitalem Staatsversagen scheiterte – wer war eigentlich in den letzten zwei Dekaden für die Digitalisierung verantwortlich? –, soll das digitale Bürgerkonto verpflichtend und die EUDI-Wallet der Heilsbringer überhaupt werden. iX Newsletter: Monatlich spannende Hintergründe zur neuen Ausgabe Kennen Sie schon den kostenlosen iX-Newsletter? Jetzt anmelden und monatlich zum Erscheinungsdatum nichts verpassen: heise.de/s/NY1E In der nächsten Ausgabe geht's ums Titelthema der Mai-iX: So werden Sie ohne Malware angegriffen. Dass sich KI, hinter der sich häufig nur ein marginal modifiziertes LLM verbirgt, gut auf Schlangenöl-Etiketten macht, wurde in den vergangenen zwei Jahren immer deutlicher: ChatGPT wirkt auf den ersten Blick richtig schlau. Und es ist politikerkompatibel, denn es lässt sich vom Smartphone aus mit Aufgaben bestücken. Und Rechenzentren, jetzt AI-Factories genannt, sind politisch gleich dreimal gut: einmal bei der Ankündigung, einmal beim Spatenstich und dann bei der Eröffnung. So viele schöne Pressemitteilungen für einen Vorgang! Keine Marketing-Digitalisierung! Natürlich wäre es zu begrüßen, wenn es bei der Digitalisierung endlich voranginge. Doch zuletzt zeigten Beispiele wie die vom CCC aufgedeckten Lücken in der elektronischen Patientenakte: Es gibt keinen Grund, blind darauf zu vertrauen, dass der Staat seine IT-Sicherheitsversprechen einhält. Natürlich ist Digitalisierung sinnvoll – wenn man weiß, was man will und was man tut. Und es ist auch nicht falsch, noch einmal zu prüfen, welche digitalen Fähigkeiten Polizei und Nachrichtendienste für ihre Arbeit im 21. Jahrhundert benötigen. Doch das, was Schwarz-Rot auf den Tisch gelegt hat, liest sich schlicht wie eine Aufzählung der Sales- und Marketing-Kreativen, vermengt mit alten Wünschen aus den Schubladen der Sicherheitsbehörden. Während Donald Trump und seine Gefolgschaft auf der anderen Seite des Atlantiks jeden Grund dafür bieten, endlich ernsthaft den Weg zu mehr digitaler Souveränität zu gehen, setzen der CSU-Innenminister in Bayern und der CDU-Innenminister in Hessen auf US-Datenanalysesoftware. Während in den Niederlanden überlegt wird, wie man AWS- und Azure-unabhängiger werden könnte, steht im schwarz-roten Koalitionsvertrag bloß ein Bekenntnis dazu, weniger abhängig sein zu wollen. Konkret müsste man dafür dann auch das Geld in die Hand nehmen und Konsequenzen ziehen, um beispielsweise die Milliardenausgaben für Standardsoftware von US-Herstellern in der Bundesverwaltung zu reduzieren. Aber selbst wenn den Worten tatsächlich Taten folgen würden, lehrt die Erfahrung mit der bisherigen deutschen Digitalpolitik, dass bis dahin wahrscheinlich selbst eine dritte Amtszeit von Donald Trump vorbeigegangen sein wird. Anzeige Das Vertrauen der Bürger muss man sich verdienen. Und dafür gibt es bei CDU, CSU und SPD digitalpolitisch bislang wenig Anlass. Mit ein bisschen Galgenhumor kann man den Parteien wenigstens das zugutehalten: Sie haben nicht wirklich viel versprochen, anders als die Ampelregierung, die am Ende enttäuschend wenig lieferte. Die Messlatte hängt also ausreichend niedrig. Und vielleicht – die Hoffnung soll man ja nie aufgeben – erleben wir dann ja doch noch eine Überraschung. Dagegen wäre schließlich nichts einzuwenden. Bei diesem Kommentar handelt es sich um das Editorial der neuen iX 05/2025, die am 24. April online und am 25. April als Heft erscheint. (kki)