Ein dramatischer Appell hofft, das Überleben des gemeinnützigen Internet Archive zu sichern. Die Unterzeichner einer für weitere Unterschriften offenstehenden Petition verlangen vom Verband der US-Musikindustrie RIAA und beteiligten Labels wie Universal Music Group (UMG), Capitol Records, Sony Music und Arista, ihre Klage gegen die Online-Bibliothek fallen zu lassen. Der seit Mitte 2023 anhängige und im März erweiterte Rechtsstreit dreht sich um das "Great 78"-Projekt. Dieses Projekt möchte 500.000 Lied-Aufnahmen retten, indem es 250.000 Schallplatten aus der Zeit von 1880 bis 1960 digitalisiert. Diverse Einrichtungen und Sammler haben die Schallplatten, die für 78 Umdrehungen pro Minute gemacht sind ("Schellacks"), gespendet, damit das Internet Archive den Kulturschatz online stellen kann. Anzeige Die Musikfirmen verlangten wegen der Online-Veröffentlichung der Lieder und dem damit verknüpften "Massendiebstahl" ursprünglich 372 Millionen US-Dollar. Vor Kurzem haben sie ihre Forderung wegen potenzieller Copyright-Verstöße auf 700 Millionen US-Dollar erhöht. Basis für die Klage ist der Music Modernization Act, den US-Präsident Donald Trump 2018 gebilligt hat. Darin enthalten ist der CLASSICS Act. Dieses Gesetz führt nachträglich bundesrechtlichen Urheberrechtsschutz für vor 1972 entstandene Tonaufnahmen ein, die bis dahin in den USA durch unterschiedliche Regeln der einzelnen US-Staaten geschützt waren. Jetzt gelten die Monopolrechte US-weit für jeweils gut 100 Jahre (für Aufnahmen bis 1946) respektive bis 2067 (für Aufnahmen von 1947 bis 1972). Kritische Infrastruktur des Internets steht auf dem Spiel Das gerichtliche Vorgehen wendet sich laut der aktuell von rund 56.000 Personen unterstützten Petition nicht nur gegen Musik. Im Mittelpunkt stehe vielmehr die Frage, "ob unsere digitale Geschichte überhaupt überlebt". Die umstrittenen fragilen Aufnahmen seien "Teil einer verschwindenden amerikanischen Kultur. Sie fangen frühen Jazz, Blues, Gospel und Folk ein – Stimmen und Klänge, die sonst für immer verloren gehen könnten." Das Projekt Great 78 versuche, "dieses Erbe zu bewahren und für die Forschung zugänglich zu machen". Die Klage bedrohe letztlich die Existenz des gesamten Internetarchivs einschließlich der bekannten Wayback Machine, heißt es. Dieser wichtige öffentliche Dienst werde täglich von Millionen Menschen genutzt, um auf historische "Schnappschüsse" aus dem Web zuzugreifen. Journalisten, Pädagogen, Forscher, Anwälte und Bürger überprüften damit Quellen, untersuchten Desinformation und wahrten die öffentliche Rechenschaftspflicht. Mit der juristischen Attacke stehe auch eine "kritische Infrastruktur des Internets" auf der Kippe. Und dies in einer Zeit, in der digitale Informationen gelöscht, überschrieben und vernichtet würden: "Wir können es uns nicht leisten, die Werkzeuge zu verlieren, die die Erinnerung bewahren und Fakten verteidigen." Das Internet Archive sah sich erst 2024 gezwungen, 500.000 Bücher zu löschen. Es hat auch laufend mit IT-Attacken zu kämpfen. Das Verfahren heißt Universal Music Group et al v Internet Archive. Ursprünglich wurde die Klage beim US-Bundesbezirksgericht für das Südliche New York (Az. 1:23-cv-07133) eingebracht, inzwischen ist das Verfahren am Bundesbezirksgericht für das Nördliche Kalifornien anhängig (Az. 3:23-cv-6522). Das Internet Archive vertritt den Standpunkt, dass das Projekt Great 78 der Musikbranche keinen Schaden verursacht, im Gegenteil: Wer Musik genießen möchte, nutze sowieso kommerzielle Streamingdienste; die alten Aufnahmen der 78er-Schellacks seien Studienmaterial für Forschende. (ds)