Vor genau 20 Jahren erlebte die Werbewirtschaft in Rom kurz vor Ostern etwas Unglaubliches. Schlagartig waren die üblichen Anzeigen, die über die Videowände der Stadt flimmerten, die Ankündigungen von Rockkonzerten oder die neueste Mode aus Mailand, völlig uninteressant. Es gab nur noch eine Frage, die alle Römer beschäftigte: Wer liest im Petersdom die Messe an den Feiertagen? Auf den elektronischen Werbetafeln konnte man damals lesen, wie der schwer kranke Johannes Paul II. die strapaziösen Osterfeierlichkeiten absolvieren werde. Das war 2005, kurz bevor der polnische Papst starb. Jetzt, zu Ostern 2025, scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Als habe sich ein Spuk über die Stadt gelegt, will wieder ein Papst, der nicht mehr gehen und kaum noch sprechen kann, das feierliche Gedenken an Tod und Auferstehung Jesu durchstehen. Für die Älteren ist die Erinnerung an Karol Wojtyła ein bedrohliches Omen: Er starb am Samstag nach Ostern. Am Ostersonntag hatte der 84-Jährige es nicht einmal mehr geschafft, den Segen Urbi et Orbi zu sprechen. Ausgerechnet der Medienpapst, der während seines gut 26 Jahre währenden Pontifikates gern in Dutzenden Sprachen "Frohe Ostern" wünschte, war nur noch zu einer stummen Geste fähig. Nach einem Luftröhrenschnitt konnte er nicht mehr sprechen. Seine Krankheit hatte eine dramatische Vorgeschichte: Seit einem Attentat von 1981 litt er an den Folgen schwerer Verletzungen, hinzu kam die in den Neunzigerjahren bei ihm entdeckte Parkinson-Erkrankung. Der einst begeisterte Skifahrer und Bergsteiger musste erleben, wie sein Körper immer mehr zum Gefängnis wurde. Weil er nachts nur mit Mühe atmen konnte, wachte ein Krankpfleger neben ihm, musste ihm helfen beim Umdrehen. © Lea Dohle Newsletter Was jetzt? – Der tägliche Morgenüberblick Starten Sie mit unserem kurzen Nachrichten-Newsletter in den Tag. 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Papst Franziskus ist nun in einer ähnlichen Lage, und sein Leidensweg hat nicht erst mit der jüngsten Einlieferung ins Krankenhaus begonnen. Bereits im Sommer 2021 musste ihm ein Teil des Darms entfernt werden. Und nun, während der 38 Tage, die er ab dem 14. Februar in der römischen Gemelli-Klinik verbrachte, stand er zweimal an der Schwelle des Todes. Seine beidseitige Lungenentzündung und ein teilweises Nierenversagen waren lebensbedrohlich. Doch er kämpfte sich zurück. Am 23. März, einem Sonntag, wurde er aus der Klinik entlassen. Allerdings ist er sehr schwach. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt vor der Peterskirche am 6. April schaffte er es nicht, seine Arme zum Segnen der Gläubigen zu heben. Das vielleicht größte Problem ist jedoch die Ernennung von Bischöfen. Weil in aller Regel nur der Papst einen Bischof ernennen darf (es gibt wenige Ausnahmen), und weil es weltweit mehr als 5.000 Bistümer gibt, muss Franziskus nahezu ununterbrochen frei gewordene Bischofssitze neu besetzen. In der Regel kommen für das Amt mehrere Kandidaten infrage. Sobald sich Zweifel verbreiten, ob der Papst die jeweilige Entscheidung selber zu treffen vermochte, kann es an der Spitze der Kirche zur Krise kommen: Der Verdacht, dass vielleicht nur ein päpstlicher Berater entschieden hat, würde die Bischofsernennung ungültig machen. Deshalb kursierten schon unter Johannes Paul II. am Ende Rücktrittsforderungen. Päpste müssen, wenn irgend möglich, zeigen, dass sie im Vollbesitz ihrer Entscheidungskraft sind. Deshalb betont der Vatikan bei jeder Gelegenheit, die Genesung von Franziskus schreite voran. Und deshalb zeigten die offiziellen Medien des Vatikans am 10. April auch keine Bilder vom inoffiziellen Ausflug des geschwächten Franziskus in Unterhemd und Poncho. Wie schwach darf ein Papst sich zeigen? Johannes Paul II. hatte im August des Jahres 2004 noch eine Auslandsreise nach Lourdes unternommen, obwohl er teils liegend transportiert werden musste. Immer an seiner Seite sein Sekretär Stanisław Dziwisz. Auch das ist eine heikle Frage, die sich jetzt in Rom wieder stellt: Wer hilft einem Papst in seiner Schwäche? Außerdem fragen sich die Vatikanisten: Nutzt der Papst die Osterfeierlichkeiten, um einen Getreuen zu präsentieren, von dem er hofft, dass dieser sein Nachfolger wird? Am 6. April erschien Papst Franziskus erstmals seit seinem Klinikaufenthalt wieder auf dem Petersplatz. Anlass war eine Messe für die Kranken und medizinisches Personal. © dpa Am 10. April besuchte er in Zivil und unerwartet den Petersdom. Dass er keine weiße Soutane trug, sondern einen Poncho übergeworfen hatte, löste Streit aus. © Screenshot: EWTN Vatican Am 12. April betete er in der Basilika Santa Maria Maggiore, seiner Lieblingskirche in Rom. Vor der Marienikone dankte er auch für sein Überleben. © ddp Am 13. April kam der Papst überraschend zur Palmsonntagsmesse. Er begrüßte Kardinäle und Gläubige – und wünschte allen lächelnd eine gute Karwoche. © ddp Als Johannes Paul II. vor Ostern 2005 merkte, dass er weder die Karfreitags-Andacht im Kolosseum noch den Gottesdienst in der Osternacht würde leiten können, berief er für beide Zeremonien jenen Mann, der nachher tatsächlich zu seinem Nachfolger gewählt wurde. Im Gottesdienst-Heftchen für die Osternacht stand damals: "Predigt von Joseph Ratzinger im Namen von Papst Johannes Paul II". Und diesmal? Zu Beginn der Osterwoche war auf dem Aushang in der Sakristei des Petersdomes noch kein Name zu lesen. Von Andreas Englisch erschien soeben "Alle Wege führen nach Rom" (Bertelsmann Verlag)