Ausgesetzter Familiennachzug: Diese Politik trennt Familien Drucken Teilen Eine geflüchtete Familie in einer Massenunterkunft. © Boris Roessler/dpa Indem die neue Koalition den Familiennachzug aussetzt, vertieft sie das Leid von Familien und verpasst eine Chance zu mehr Humanität - ein Gastbeitrag von Teresa Wilmes (Terre des Hommes). Die von der schwarz-roten Koalition geplante Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten vergrößert das Leid von Kindern und Familien, die durch Kriege und auf Fluchtwegen getrennt wurden. Sie verpasst damit die Chance, drängende Verbesserungen anzugehen und Geflüchtete durch familiäre Einbindung zu stärken. Keine Frage, die im Koalitionsvertrag von Union und SPD vorgesehene befristete Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten klingt zunächst sehr technisch. Doch dahinter steckt das Schicksal tausender Kinder und ihrer Familien, die in Deutschland leben. Denn der subsidiäre Schutz war 2024 die häufigste Form, in der Menschen aus humanitären Gründen der Aufenthalt in Deutschland gewährt wurde. Er schützt die, die vor Krieg, Folter und Todesstrafe fliehen. In den letzten Jahren kamen die meisten subsidiär Schutzberechtigten aus dem vom Bürgerkrieg geschüttelten Syrien nach Deutschland. Auch nach dem Fall Assads ist die Zukunft dort ungewiss, und an Rückkehr ist angesichts zerstörter Städte und anhaltender Bedrohung für viele nicht zu denken. Zur Person Teresa Wilmes ist Referentin für Programme und Politik Europa bei Terre des Hommes Deutschland. Nach ihrer Flucht nach Deutschland müssen bereits jetzt viele dieser Menschen monate- und oft jahrelang bangen, ob sie endlich wieder mit ihrer Familie vereint werden. Zwar haben derzeit die Familienangehörigen subsidiär Schutzberechtigter einen rechtlichen Anspruch darauf, zu ihren Kindern oder Eltern nach Deutschland zu kommen. Die Visa-Vergabe ist allerdings bereits auf 1000 Personen im Monat begrenzt, zudem dauern die Verfahren oft Jahre. Als Kinderrechtsorganisation kann Terre des Hommes nicht achselzuckend hinnehmen, wenn zahlreiche unbegleitete minderjährige Geflüchtete darauf warten, endlich wieder mit ihren Eltern zusammen sein zu können. In ständiger Angst um die Familie Diese Kinder und Jugendlichen leben in ständiger Angst um ihre Familien in Kriegsgebieten und müssen dabei ohne den Rückhalt ihrer Eltern und Geschwister aufwachsen. Genauso bangen Eltern, die bereits in Deutschland sind, um ihre Kinder, die sie zurücklassen mussten: Mütter, die ihre Kinder wieder in den Arm nehmen wollen, und Väter, die selbst vor Folter nach Deutschland flohen und in ständiger Sorge um ihre Töchter und Söhne leben. Mit dem im Koalitionsvertrag formulierten Vorhaben wird ihnen nun die Hoffnung genommen, dass ihr Warten ein Ende finden könnte. In den nächsten zwei Jahren wird ihr Rechtsanspruch auf Familiennachzug ganz ausgesetzt. Was danach folgt, ist ungewiss. Recht auf Familie ist im Grundgesetz verankert Union und SPD verkennen dabei: Familiennachzug ist rechtlich geboten, menschlich notwendig und integrationspolitisch sinnvoll. Das Recht auf Familie ist im Grundgesetz, in der Europäischen Menschenrechtskonvention, der EU-Grundrechtecharta und der UN-Kinderrechtskonvention verankert. Schon in der Vergangenheit urteilten das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass dieses Recht auch für Geflüchtete nicht leichtfertig ausgesetzt werden darf. Menschlich notwendig ist der Familiennachzug ohnehin, denn zahlreiche Studien belegen, wie stark die Trennung von der eigenen Familie Kinder, Jugendliche und Erwachsene psychisch belastet. Getrennte Familien leben in ständiger Angst und Sorge – besonders betrifft das Kinder und Jugendliche, die allein in Deutschland leben müssen. Das Zusammensein mit der eigenen Familie erleichtert hingegen erwiesenermaßen die Integration: Wer auf den Rückhalt der eigenen Familie zählen kann, der kann sich besser auf Schule, Ausbildung und Beruf konzentrieren. Die familiäre Einbindung stabilisiert Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene und stärkt sie somit, in Deutschland anzukommen. Verbesserungsbedarf an der konkreten Ausgestaltung des Familiennachzugs hätte es reichlich gegeben. Union und SPD hätten die Chance gehabt, Verfahren transparenter, zügiger und qualitativ besser zu gestalten. Sie hätten Wartezeiten verkürzen und digitale Antragsstellung ermöglichen können und nicht nur Eltern, sondern auch Geschwistern unbegleiteter Minderjähriger ein Nachzugsrecht einräumen können und es damit den Eltern erspart, sich zwischen dem Kind im Herkunftsland und dem in Deutschland entscheiden zu müssen. Alle diese Chancen hat die künftige Regierung verpasst. Stattdessen nimmt sie Familien aus Kriegsgebieten die Aussicht, gemeinsam einen Neuanfang in Deutschland wagen zu können. Das ist das Gegenteil von verantwortungsvoller Politik.