Tierversuche: Sind Tierversuche vertretbar?
DIE ZEIT: Herr Schlatt, Sie führen in Ihrem Labor Tierversuche durch, als einer der wenigen in Deutschland auch an Affen. Warum? Stefan Schlatt: Ich forsche an der Biologie des Mannes. Dabei untersuche ich unter anderem, welche Hormone in der Pubertät eine Rolle spielen oder wie sich der Mann im Alter entwickelt. Das ist Grundlagenwissenschaft, deren Ergebnisse aber durchaus medizinisch relevant sind. Etwa bei der Frage, wie junge Männer nach einer Chemo- oder Bestrahlungstherapie später noch Vater werden können. Dafür benötige ich sogenannte Tiermodelle und insbesondere Affen, weil sie dem Menschen am nächsten sind. ZEIT: Leiden die Tiere dabei? Schlatt: Wenn ich die Affen bestrahle, dann erleiden die Tiere Schäden. Und zwar genau solche, die ein Mensch aushalten müsste. Um genau das zu vermeiden, stelle ich die Situation mit einem Tierversuch nach. ZEIT: Frau Zietek, handelt Herr Schlatt unethisch? Tamara Zietek: Kein Wissenschaftler fügt Tieren vermutlich gern Leid zu. Aus meiner Sicht aber sind Tierversuche überflüssig, weil sie unzuverlässige Ergebnisse bringen und es mittlerweile genügend tierversuchsfreie Methoden gibt, die eine bessere Vorhersagekraft haben. Deshalb sind Tierversuche – ja – auch unethisch. ZEIT: Haben Sie als Wissenschaftlerin selbst Tierversuche gemacht? Zietek: Nein, aber ich habe sie, wenn auch ungern, angeleitet, als ich an der TU München als Biochemikerin und Forschungsgruppenleiterin gearbeitet habe. Dabei wurde mir schon vor 15 Jahren klar, dass die Erkenntnisse aus Tierversuchen schlecht auf den Menschen übertragbar sind. ZEIT: Inwiefern? Tamara Zietek 44, promovierte in Biochemie und war Forschungsgruppenleiterin an der TU München. Sie ist Geschäftsführerin Wissenschaft von Ärzte gegen Tierversuche. Zietek: Es gibt einfach große Unterschiede, wie bestimmte biologische Prozesse bei der Maus, dem Affen oder eben beim Menschen ablaufen. Der Rezeptor für Insulin etwa – ich habe damals zu Diabetes geforscht – ist bei jeder Spezies anders. Da sind Versuche mit Tieren nicht zielführend. In vielen Fällen halten Tierversuche aufgrund falscher Schlussfolgerungen den Fortschritt der Medizin sogar auf. Schlatt: Einerseits betonen wir immer, dass Tiere uns so ähnlich sind: Der Hund versteht uns, die Katze hat ihren eigenen Willen, der Affe ist freundlich. Auf der anderen Seite heißt es dann, als Tiermodelle für die Forschung sind sie aber unbrauchbar. Das ist doch ein Widerspruch. ZEIT: Sehen Sie die Unterschiede denn nicht? Stefan Schlatt 61, ist promovierter Zoologe und Direktor am Zentrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie der Universität Münster. Schlatt: Doch natürlich. Aber wir Menschen haben mit den Tieren auch sehr viele Mechanismen gemeinsam. Nehmen Sie den Krallenaffen, der für meine Forschung zentral ist. Das ist ein kleines Äffchen, 300 Gramm, so schwer wie eine Ratte. Seine Anatomie ist komplett anders, aber seine Stammzellen im Hoden sind denen im Menschenhoden sehr ähnlich. Ich würde nie ein Tiermodell auswählen, bei dem ich auf meine Fragen keine Antworten bekomme. Historisch stimmt das Argument, mit Tierversuchen ließen sich keine wissenschaftlichen Probleme lösen, ohnehin nicht. ZEIT: Worauf beziehen Sie sich? Schlatt: Ich führe dieses Interview auf einem Campus, wo vor vielen Jahren Gerhard Domagk – unter Einsatz von Tierversuchen – die Sulfonamide entdeckte, Antibiotika, mit denen jedes Jahr Millionen von Menschen gegen Infektionen behandelt werden. ZEIT: Die Kehrseite waren Rattenexperimente von der übelsten Sorte. Schlatt: ... die man so heute zum Glück nicht mehr machen würde. Medizinisch aber war es ein Riesenfortschritt. Deshalb hat er für seine Entdeckung den Nobelpreis bekommen. Zietek: Da kann ich auch andersherum argumentieren: Aspirin würde es heute nicht geben, wenn man es an Tieren getestet hätte, weil es bei vielen der üblichen Testspezies Missbildungen hervorruft. Andererseits wurde der Contergan-Wirkstoff in Tierversuchen als sicher eingestuft, und beim Menschen verursachte er schlimmste Missbildungen. Ratten vertragen 300-mal mehr Asbest als der Mensch. Am Ende ist jeder Tierversuch nur eine künstliche Behelfskonstruktion mit sehr limitierter Aussagekraft. Schlatt: Das stimmt, ich muss immer genau schauen, wofür ich Tierversuche einsetze. Aber die Liste der medizinischen Durchbrüche, die mit ihnen erreicht wurden, ist lang, angefangen bei der Entdeckung des künstlichen Insulins für die Diabetes-Behandlung über den Polio-Impfstoff bis zu Medikamenten gegen HIV. Zietek: Aber das ist die Vergangenheit. Das Innovationspotenzial, das wir mit Tierversuchen erreichen können, ist ausgeschöpft. Tierversuche sind eine Technik des vergangenen Jahrhunderts.