Trauer um Papst Franziskus: Noch ein Bild vom toten Papst – für Insta
Jetzt ist sie wirklich genervt. Die kleine Nonne im hellblauen Gewand, mit weißer Haube, steht mitten auf dem Petersplatz. Hunderte Menschen drängen sich hier, wollen einen Blick auf den Leichnam von Papst Franziskus erhaschen, der gerade im offenen Sarg vor ihnen durch die Menge getragen wird. Sie haben sich auf Stühle gestellt, die für die Andacht aufgebaut wurden, halten Handykameras in die Höhe und filmen den Sarg, sind auf der Suche nach dem besten Bild. Eine Wand aus Körpern und Kameras. Die kleine Nonne hat keine Chance, den Sarg zu sehen. "Können sich die Leute nicht wenigstens mal hinsetzen?", sagt sie auf Italienisch. Dieser Mittwoch ist ein Tag der Trauer für viele. Nicht nur in Rom, weltweit wollen Menschen Abschied nehmen vom Oberhaupt der katholischen Kirche. Am Sonntag noch hatte Papst Franziskus an genau diesem Platz den Ostersegen gesprochen. Nun wird er, einbalsamiert und in einem rot ausgelegten Sarg, an Gläubigen, Touristen und Anwohnern vorbeigetragen. Am Vormittag wird der Leichnam von Papst Franziskus über den Petersplatz getragen – durch ein Meer von Handykameras. © Manuel Dorati für ZEIT ONLINE Können sich Tausende, wenn nicht gar Zehntausende Menschen einig werden, wie man am besten Abschied nimmt? Diejenigen, deren Leben der Papst prägt – und diejenigen, die einfach zufällig in Rom sind und gerne ein Bild von dieser Story auf Instagram posten möchten. Kamera auf Selfiemodus, der Petersdom muss in den Hintergrund. Gemeinsam stehen sie in der Schlange vor dem Petersdom – und sie müssen es an diesem Tag lange nebeneinander aushalten. Es dauert Stunden, bis sie endlich in den Petersdom kommen und die aufgebahrte Leiche des Papstes sehen können. Ein Bild für die Wartenden: Die Trauerandacht wird nach draußen auf den Petersplatz übertragen. © Manuel Dorati für ZEIT ONLINE Zwei Lager von Trauernden Hier im Dom zerfällt diese erzwungene Koexistenz sofort, in zwei Lager. Die einen zücken ihre Handys und machen ein Bild vom verstorbenen Franziskus. Die anderen bekreuzigen sich, nicht selten mit einem Wort des Missfallens über die bildgierigen Voyeure. Als der Priester Vincenzo aus Norditalien wenige Meter vor dem Sarg des Papstes sieht, wie zahlreiche Handys in die Höhe gehalten werden, da sagt er: "Es ist eine Schande. Das müsste verboten werden!" Aber die Wachen vor dem Sarg sagen nur: "Gehen Sie weiter, gehen Sie weiter, bitte, nicht stehen bleiben! Nicht stehen bleiben!" Der Menschenfluss darf nicht stocken, draußen warten noch viele Tausende auf Einlass. Bei warmem Temperaturen warten Zehntausende hinter Absperrungen, um einen Blick auf den Sarg zu erhaschen. © Manuel Dorati für ZEIT ONLINE Wie soll man trauern, wenn neben einem jemand eine Story für Instagram dreht? © AFP/Getty Images Newsletter Wofür leben wir? – Der Sinn-Newsletter Jeden Freitag bekommen Sie alle Texte rund um Sinnfragen, Lebensentscheidungen und Wendepunkte. 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Als eine Frau neben ihr sich über die Leute beklagt, die sofort ihre Handys zücken, sagt sie nur: "Wissen Sie, welcher Satz unter den vielen guten Sätzen des Papstes der Allerbeste war? Es ist besser, ein Atheist außerhalb der Kirche zu sein, als ein Gläubiger, der in der Kirche ist und hasst." Aruy Soares aus Indonesien und Amal Puthayath aus Indien studieren seit zwei Jahren in Rom und nehmen an diesem Mittwoch Abschied von ihrem Kirchenoberhaupt. © Manuel Dorati für ZEIT ONLINE Bilder entscheiden, wie der Mensch auf Dinge blickt – und vielleicht auch, wie sie ihr eigenes Leben führen. Aruy Soares und Amal Puthayath, beide 27 Jahre alt, stammen aus Indonesien und aus Indien und widmen ihr Leben dem Glauben. Sie sind katholische Missionare und studieren seit zwei Jahren in Rom. Papst Franziskus war eine der prägendsten Figuren ihres Lebens – obwohl sie ihm nie persönlich begegnet sind. Der Papst ist sogar der Grund, warum Soares von Indonesien nach Rom gekommen ist. "Ich habe als Ministrant in der Kirche geholfen und habe die Gewänder der Priester gesehen. Ich fand das Bild so schön, dass ich das auch machen wollte." An Papst Franziskus bewundern sie, wie bescheiden er gelebt und wie sehr er sich für ärmere Weltregionen eingesetzt habe. "Als er Indonesien besucht hat, hat ihm unser Präsident ein schickes Hotel angeboten und einen Privatjet", sagt Aruy Soares. "Aber er wollte das alles nicht." Der Sarg wird über den Vorplatz getragen – hier muss die Menschenmenge hinter der Absperrung bleiben. © Manuel Dorati für ZEIT ONLINE Auch der Vatikan nutzt Instagram Von dieser Bescheidenheit von Papst Franziskus weiß die Welt durch Bilder. Statt im gepanzerten Papstmobil zeigte sich Franziskus im gebrauchten Renault 4 – oder nahm, noch vor seiner Zeit in Rom, als Erzbischof in Argentinien, lieber die U-Bahn. Statt im prunkvollen Apostolischen Palast lebte er lieber im einfachen Gästehaus Santa Marta. Er wusch die Füße von Häftlingen und frühstückte mit Obdachlosen. Drei Tage vor seinem Tod besuchte er das römische Gefängnis Regina Coeli, nahe dem Vatikan. Schon sehr schwach und gezeichnet, sagte er zu den Gefangenen: "Warum ihr und nicht ich?" Applaus brandete auf. Diese Bilder vom Papst haben auch die jüngere Generation erreicht. Auch natürlich via Instagram – der Account @franciscus zählt immerhin mehr als zehn Millionen Follower. Der jüngste Beitrag ist seine kurze Osteransprache vom Sonntag. Der 14-jährige Nicolò Filoni aus Rom, noch ganz am Anfang der Schlange auf dem Petersplatz, erzählt von den Videos, die er vom Papst gesehen hat. Der Papst, der mit Babys spielt und junge Menschen trifft. "Das hat mich beeindruckt." Die Freundinnen Emilia Gambini und Carola Quaglia stammen beide aus dem Heimatland des Papstes, aus Argentinien. © Manuel Dorati für ZEIT ONLINE Diese Tage sind die letzten, in denen die Menschen sich noch ein Bild von ihrem Papst machen können. Noch bis Freitag wird der Leichnam im Petersdom aufbewahrt, im offenen Sarg. Carola Quaglia und Emilia Gambini, zwei junge Frauen aus Argentinien, der Heimat des Papstes, haben gerade ihren letzten Blick auf ihn geworfen. Wie war das für die beiden? Ihr erster Eindruck: Es sei nicht richtig, dass so viele Menschen Fotos und Videos in der Kirche machen. "Warum wollen sie ein Foto von diesem Moment?", fragt die 30-jährige Quaglia. Eigentlich sei sie nicht sehr religiös, aber am Sarg habe sie dennoch weinen müssen. "Ich habe versucht, über den Moment nachzudenken und bei meinen Gefühlen zu sein." Auch ihrer Freundin seien am Sarg die Tränen gekommen: "Eine Frau hat mir ein kleines Bild von ihm gegeben, und – ich weiß nicht warum – ich musste sofort weinen", erzählt Gambini. Im Petersdom müssen die Gläubigen weiter hinter Absperrungen warten, bis sie zum Sarg vorgelassen werden. © Manuel Dorati für ZEIT ONLINE Warum sie so ergriffen waren, obwohl sie nicht gläubig sind, können sie sich selbst nicht so recht erklären. "Vielleicht, weil wir Argentinierinnen sind?", überlegt Quaglia. "Und es sicher der letzte argentinische Papst war", ergänzt Gambini. "Oder vielleicht – weil das der eine Moment in meinem Leben ist, bei dem ich bei einem so wichtigen Ereignis dabei bin." Ein Foto vom toten Papst aber brauche sie nicht, um sich daran zu erinnern. Zum Abschied hat jemand eine Blume für Papst Franziskus auf einer Treppenstufe hinterlassen. © Manuel Dorati für ZEIT ONLINE