Die tödlichen Schüsse auf einen jungen Mann in Oldenburg haben eine Debatte über Polizeigewalt in Niedersachsen ausgelöst. Ein Sprecher von Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) berichtete vor einer geplanten Solidaritätskundgebung am Freitagabend von einer „aufgeheizten Stimmung in der Stadt“. Mehr als 5000 Menschen wurden auf der Versammlung erwartet. Der 21 Jahre alte Lorenz A., ein Schwarzer, war in der Nacht zu Ostersonntag gegen 2.40 Uhr durch Schüsse eines Polizeibeamten ums Leben gekommen. Der Polizist schoss nach Angaben der Staatsanwaltschaft Oldenburg fünfmal auf den 21-Jährigen – mindestens drei Kugeln trafen ihn von hinten: an der Hüfte, am Oberkörper und am Kopf. Ein vierter Schuss streifte ihn laut Obduktionsbericht am Oberschenkel. Geschehensablauf weiter unklar Auch knapp eine Woche nach dem Unglück ist der Geschehensablauf noch immer unklar. Ein Grund dafür ist die Beweislage. Die Polizei wertet nach Angaben der Staatsanwaltschaft Videobilder und Audioaufnahmen aus. In Aufzeichnungen von Kameras aus der Oldenburger Innenstadt ist das Geschehen allerdings nur schemenhaft zu erkennen. Bilder aus sogenannten Bodycams gibt es dagegen nicht. Das sind Kameras, die Polizeibeamte in Niedersachsen seit 2019 am Körper tragen können. Sie dienen bei kritischen Einsätzen dem Selbstschutz wie auch dem Schutz Dritter. „Täter, die gefilmt werden, schrecken möglicherweise vor Angriffen auf Polizeibeamte zurück“, sagt der Kriminologe und Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes über den Zweck der Kameras. Feltes vertritt die Mutter von Lorenz A. als Nebenklagevertreter. In der Osternacht in Oldenburg hatte jedoch keiner der Polizisten eine Bodycam in Betrieb. Auch nicht der mutmaßliche Schütze, ein 27 Jahre alter Polizist. Ob die Beamten Kameras einsetzen, liege in ihrem eigenen Ermessen, sagt dazu der Sprecher des Innenministeriums. Jurist fordert Bodycam-Pflicht für Polizisten Feltes sieht im Verzicht auf eine Aufzeichnung ein Versäumnis des Beamten. „Nach meiner Einschätzung hätte die Kamera in diesem Fall eingeschaltet sein müssen.“ In der konkreten Situation hätte sie einen präventiven Effekt haben können, meint der Jurist. „Das liegt dann nicht mehr im Ermessen der Beamten.“ Der Bochumer Jurist fordert verpflichtende Bodycams, zumindest bei kritischen Einsätzen. „Wenn wir die Kameras haben, dann sollten wir sie auch umfassender nutzen, als das heute geschieht. Mir würde es schon genügen, dass Bodycams in allen konfliktträchtigen Situationen eingeschaltet werden müssen.“ Dass es die Pflicht bisher nicht gibt, lastet Feltes den Polizeigewerkschaften an: „Man wollte nicht, dass Polizeibeamte dabei gefilmt werden, wenn sie selbst Gewalt anwenden.“ Dafür müsste das niedersächsische Polizeigesetz geändert werden. Innenministerin Behrens will in Kürze ohnehin einen Entwurf für eine Reform des Polizeirechts vorlegen. Nach Angaben ihres Sprechers ist eine Änderung der Regelung zu Bodycams jedoch nicht enthalten. „Es gibt, Stand heute, keine Planung dafür.“ (rnd)