Frankreich: Nach Mord in Moschee wird über Islamophobie diskutiert

Mord in einer Moschee – Er schimpfte auf Allah und stach zu: Hat Frankreich ein Problem mit Islamophobie? Ein junger Franzose tötete einen betenden jungen Malier in einer südfranzösischen Moschee und filmte sein sterbendes Opfer. Nun diskutieren die Franzosen über Islamfeindlichkeit in ihrem Land. Oliver Meiler aus Paris Schock auf dem Land: La Grand-Combe ist ein ruhiger Ort in Südfrankreich. Der Mord in seiner Moschee wühlt die Franzosen auf. Foto: Miguel Medina (AFP) Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren. Abo abschliessenLogin BotTalk In Kürze : Ein 21-jähriger Mann erstach in einer südfranzösischen Moschee einen betenden Gläubigen. Der Täter filmte sein sterbendes Opfer und verhöhnte Allah durch Schimpfwörter. Nach dreitägiger Flucht stellte sich der Verdächtige bei der Polizei in Florenz. Die Regierung streitet über die Einstufung der Tat als islamfeindlich. Eine fürchterliche Tat erschüttert Frankreich und seine Politik. In La Grand-Combe, einem ruhigen Ort im südfranzösischen Département Gard, etwa 5000 Einwohner, hat ein junger Mann einen fast genauso jungen Mann ermordet, und viel weist darauf hin, dass er aus rassistischen und islamfeindlichen Motiven gehandelt hat. Olivier H., so heisst der mutmassliche Täter, Franzose mit bosnischen Wurzeln, geboren in Lyon, 21 Jahre alt und arbeitslos, hatte am vergangenen Freitag die Moschee von La Grand-Combe aufgesucht, wo er offenbar niemanden kannte. Es war früh am Morgen. Ausser dem Gläubigen Aboubakar Cissé, einem 23-jährigen Einwanderer aus Mali, der die Räumlichkeit für das Freitagsgebet putzte und herrichtete, war niemand da. Olivier H. bat den Mann, ihm zu zeigen, wie man im Islam bete. Und als sich der hinkniete, zog er ein langes Messer aus der Tasche und stach Dutzende Male auf ihn ein. Das zeigen die Aufnahmen der Überwachungskameras. Cissé lag sterbend am Boden, da filmte ihn der Täter mit seinem Handy «mehrere Dutzend Sekunden lang», wie die Ermittler später berichteten. Man hört Olivier H. auf dem Video, wie er über Allah schimpft und sein Opfer verhöhnt. Er sagt darauf auch, dass er noch weitere Menschen töten wolle, damit er als Serienmörder gelte. Er werde jetzt sicher verhaftet, da sei er sich ganz sicher. Sein Video postete er auf Discord, einer Chatplattform, die es nach kurzer Zeit löschte. Olivier H. floh nach seiner Tat mit dem Auto, drei Tage war er unterwegs. Am späten Sonntagabend stellte er sich selbst auf einem Polizeiposten in Pistoia bei Florenz. Offenbar hatten seine Familie und seine Bekannten es geschafft, ihn dazu zu bewegen. Tat mit «rassistischem und islamfeindlichem Hintergrund» Nach einer ersten Prüfung des Falls sagte der zuständige Staatsanwalt, die Ermittler gingen davon aus, dass es sich um eine Tat «mit einem rassistischen und islamfeindlichen Hintergrund» handeln könnte. Andere mögliche Erklärungen, die mit der Psyche des Täters zu tun hätten, seien aber nicht ausgeschlossen. Olivier H. war bis dahin nicht aufgefallen. Überhaupt ist bisher relativ wenig über ihn bekannt, ausser dass er Arbeitslosengeld bezieht, seine Zeit vor allem mit Videospielen verbrachte und sein Opfer nicht kannte. Doch bei allen offenen Fragen: Der Fall löste eine Kontroverse aus in der französischen Politik, die symptomatisch ist für das Klima und die Polarisierung im Land – nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 und den Folgen des Terrorüberfalls der Hamas auf Israel, seitdem aber noch viel mehr als zuvor. Staatspräsident Emmanuel Macron und Premierminister François Bayrou beeilten sich, mit deutlichen Statements in den sozialen Medien ihre Abscheu über die Tat kundzutun und die Gemüter zu beruhigen. Bayrou sprach von einer «islamophoben Schande», die sich zugetragen habe. Langsamer als sonst: Frankreichs Innenminister Bruno Retailleau. Foto: Alex Martin (AFP) Doch in seiner Regierung sehen das manche Minister nuancierter: Sie verwehren sich gegen den Begriff der «Islamophobie», die für eine tiefe Angst, Ablehnung und Feindseligkeit gegen den Islam und gegen Muslime steht. Manuel Valls etwa, früher Premier und heute Minister für Übersee, sagte, die «schreckliche Tat» von La Grand-Combe sei womöglich «antimuslimisch konnotiert. Doch Islamophobie sei ein ideologischer Kampfbegriff, den die iranischen Mullahs oft benutzt hätten im Kampf gegen ihre Gegner, man dürfe ihn deshalb nicht übernehmen. Valls nannte Frankreich bei der Gelegenheit «ein altes Land des Christentums». Kritik an Innenminister Bruno Retailleau Ist die Begriffsdiskussion eine Wortklauberei? Eine gezielte Verniedlichung der Islamfeindlichkeit? Auch Innenminister Bruno Retailleau, ein Republikaner am rechten Rand seiner Partei, mochte nicht von Islamophobie sprechen. Retailleau, der sonst immer sofort an jeden Tatort reist, um sich an der Seite von Opfern zu zeigen, brauchte diesmal zwei Tage, bis er sich in die Gegend aufmachte. «Islamophobie tötet» steht auf dem Plakat dieser Kundgeber auf der Place de la République in Paris, im Gedenken an Aboubakar Cissé, das Opfer von La Grand-Combe. Foto: Alain Jocard (AFP) Die radikal linke Partei La France Insoumise wirft dem Innenminister und dem rechten Lager insgesamt vor, sie mässen mit unterschiedlichem Mass, je nach Religion der Opfer. «Islamophobie tötet. Und alle, die dazu beitragen, sind mitschuldig», sagte Jean-Luc Mélenchon, Kopf der Partei, an einer Kundgebung auf der Pariser Place de la République. Mélenchon wiederum muss sich vorwerfen lassen, dass er mit seiner ambivalenten Haltung zur Hamas und seiner vehementen Kritik an Israel im Nachgang zum 7. Oktober antisemitische Reflexe genährt hat. Die Polarisierung hat also mehrere Urheber. Neben antisemitischen Vorfällen, die auch in Frankreich stark zugenommen haben, ist auch die Zahl antimuslimischer Vorfälle in den vergangenen Jahren gestiegen. Die extreme und identitäre Rechte kann bei ihrer Kampagne gegen den Islam auf die Medien aus dem Imperium des reaktionären Unternehmers Vincent Bolloré zählen. Ob sich Olivier H. von diesem gehässigen Klima inspirieren liess, ist allerdings nicht klar. In La Grand-Combe läuft nun eine Kollekte: Es soll genug Geld zusammenkommen, damit der Leichnam von Aboubakar Cissé, einem beliebten Mitglied der muslimischen Gemeinde im Ort, für die Bestattung nach Mali gebracht werden kann, in seine Heimat. Newsletter Der Morgen Der perfekte Start in den Tag mit News und Geschichten aus der Schweiz und der Welt. Weitere Newsletter Einloggen Oliver Meiler ist Frankreichkorrespondent mit Sitz in Paris. Mehr Infos @OliverMeiler Fehler gefunden?Jetzt melden.