Vor mehr als drei Jahren hat Russland die Ukraine angegriffen. Seitdem sind Ukrainerinnen und Ukrainer jeden Tag mit der Sorge um ihr Heimatland, mit Verteidigung, Flucht, Tod beschäftigt. Damit, einen Umgang zu finden mit einer immer drohenden Gefahr. Ich frage mich oft: Wie schafft man das, weiterzumachen? Sich trotz des Krieges eine Zukunft vorstellen? Wohin mit der Wut, der Enttäuschung, Überforderung, Trauer? Meine Kollegin Ann-Dorit Boy und mein Kollege Fedir Petrov waren in Charkiw. In ihrer Geschichte, finde ich, zeigen sie, wie dieses Weitermachen aussehen kann. Charkiw liegt, als die zweitgrößte Metropole der Ukraine, gefährlich nahe an der Front. Mehr als eine Million Menschen leben hier nur 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Raketen, die der Kreml auf russischem Staatsgebiet abschießt, können schon nach 30 Sekunden im Stadtgebiet einschlagen. Im vergangenen Jahr griff Russland Charkiw 318 Mal an, mit fast 20 Arten von Raketen und Drohnen; 98 Menschen wurden getötet, mehr als 1000 verletzt. Doch Charkiw hat sich in den Untergrund verzogen. Hier arbeiten viele Institutionen weiter, trotz Luftalarm und Angriffen an der Oberfläche. So auch das Opernhaus, das Charkiwer Nationale Akademische Theater für Oper und Ballett Mykola Lyssenko. Ein riesiges Gebäude, zur Sowjetzeit erbaut und nur einen Monat vor dessen Zusammenbruch fertiggestellt – mit seinem großen Dach ist es eigentlich eine gigantische Zielscheibe für russische Luftangriffe. Wie soll man dort noch Vorstellungen aufführen?