Abo Angespannte Beziehungen zu den USA – Bundesrat will Trump besänftigen – und verzichtet auf Regeln für Google, Facebook und X Die Landesregierung verschiebt die geplante Regulierung von Tech-Plattformen, um die USA nicht zu verärgern. Ist das ein diplomatischer Schachzug oder vorauseilender Gehorsam? Charlotte Walser Bundesrat Albert Rösti wolle die Tech-Plattformen sanft regulieren. Doch der Bundesrat fürchtet sich vor den USA. Foto: Peter Klaunzer (Keystone) Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren. Abo abschliessenLogin BotTalk In Kürze : Der Bundesrat verschiebt die geplante Tech-Plattform-Regulierung aufgrund der angespannten Beziehungen mit den USA im Zollstreit. In der Schweiz waren deutlich mildere Regeln geplant als in der EU. SP-Nationalrat Jon Pult bezeichnet den Entscheid des Bundesrats als «skandalös». Im Zollstreit setzt der Bundesrat auf Dialog und Angebote an die USA. Und nicht nur das: Aus Rücksicht auf die Trump-Regierung verzichtet er nun auch auf ein geplantes Gesetz. Er hat am Mittwoch beschlossen, die geplante Regulierung von Kommunikationsplattformen wie Google, Facebook, Youtube und X zu vertagen – auf unbestimmte Zeit. Die Bundeskanzlei bestätigt, dass das Geschäft Thema im Bundesrat war. Es sei verschoben worden, schreibt sie auf Anfrage dieser Redaktion. Laut mehreren Quellen in der Bundesverwaltung hatten vor allem die Departemente von Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) und Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) darauf gedrängt. Dem Vernehmen nach argumentierten sie, es sei angesichts der angespannten Lage mit den USA nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Im Bundesrat setzte sich diese Sichtweise nun durch. Im Bundesrat hat der Wind gedreht Damit vollzieht der Bundesrat eine Kehrtwende. Vor zwei Jahren hatte er das Departement von SVP-Bundesrat Albert Rösti damit beauftragt, eine Regulierung auszuarbeiten. Damals hielt er fest, die Nutzerinnen und Nutzer hätten heute gegenüber den Plattformen eine schwache Stellung. Auch seien die Algorithmen intransparent, die darüber entscheiden, welche Inhalte sie zu sehen bekommen. Die Schweizer Regeln sollten sich – so der Plan des Bundesrats – teilweise an den Regeln der EU orientieren: Dort, wo dies sinnvoll sei. In der EU ist seit 2022 ein Gesetz in Kraft, der sogenannte Digital Services Act. Dessen Ziel: Die Verbreitung illegaler Inhalte verhindern. Die Onlineplattformen müssen Massnahmen ergreifen, um Nutzerinnen und Nutzer vor illegalen Inhalten und vor Desinformation zu schützen. Den Betreibern drohen hohe Bussen. Schweizer Version wäre harmloser In der Schweiz war eine harmlose Variante davon geplant: Die Bevölkerung sollte gegenüber den Plattformen mehr Rechte erhalten und Transparenz einfordern können. So sollten die Plattformen etwa eine Kontaktstelle und einen Rechtsvertreter in der Schweiz benennen müssen. Nutzerinnen und Nutzer sollten von den Plattformen eine Überprüfung verlangen können, wenn ihr Konto gesperrt oder ihre Inhalte gelöscht wurden. Auch eine Schweizer Schlichtungsstelle hatte der Bundesrat bestellt. Aufrufe zu Hass, Gewaltdarstellungen oder Drohungen hätten Nutzerinnen und Nutzer mit den neuen Regeln einfacher melden können. Die Plattformen wären nicht bestraft worden, doch sie hätten die Meldungen prüfen und die Nutzer über das Ergebnis informieren müssen. Ausserdem hätten sie Werbung kennzeichnen müssen. Aus all dem wird nun vorerst nichts. Rösti zögerte zuerst ebenfalls Es handelt sich nicht um die erste Verzögerung in diesem Geschäft. Ursprünglich war der Beginn der Vernehmlassung im Frühling vor einem Jahr geplant. Dann wurde sie auf den Herbst verschoben, dann auf Anfang 2025. Dem Vernehmen nach war das Geschäft im Februar für eine Bundesratssitzung traktandiert. Rösti zog es aber im letzten Moment zurück – offenbar primär aus politischen Gründen, schon damals mit Blick auf die US-Regierung. Zudem gab es aus anderen Departementen Wünsche für Ergänzungen. Schliesslich beschloss Rösti aber, am Vorhaben festzuhalten. Nun ist er damit im Bundesrat aufgelaufen. USA stellen sich gegen EU-Regulierung Die USA kritisieren die Regulierung der EU scharf. So sagte US-Vizepräsident J. D. Vance im Februar an einem KI-Gipfel in Paris: «Amerika wird das nicht akzeptieren. Es ist ein schrecklicher Fehler – für die USA und auch für die betreffenden Staaten.» Vance drohte auch mit Gegenmassnahmen. In der Darstellung der USA beschneidet die EU mit ihrem Gesetz das Recht auf freie Meinungsäusserung. In der EU wiederum verweist man auf Untersuchungen, die zeigen, wie Bots auf den Plattformen vor Wahlen in europäischen Ländern gezielt einzelne Parteien propagierten oder Desinformation verbreiteten – beispielsweise auf der Plattform X, die Trumps Berater Elon Musk gehört. In der Schweiz gibt es auf der rechten Seite Skepsis gegenüber einer Regulierung. So warnte etwa SVP-Nationalrat Franz Grüter vor «Zensur» und «staatlich betreutem Denken», obwohl die Schweizer Version der Regulierung viel weniger weit gehen würde als jene der EU. Für eine Regulierung setzte sich hingegen Nationalrätin Meret Schneider (Grüne) ein. Sie sieht Plattformen wie X, Facebook oder Tiktok als Gefahr für die Demokratie. «Da kann man gleich den Gessler-Hut grüssen» Auch SP-Nationalrat Jon Pult befürwortet eine Regulierung. In der Frühjahrssession erkundigte er sich, ob die Verzögerung des Geschäfts mit der Trump-Regierung zu tun habe. Damals antwortete der Bundesrat, es seien vertiefte Abklärungen nötig gewesen. Die Arbeiten seien jedoch weit fortgeschritten. Dass die Regierung nun zurückkrebst, empört Pult. «Der Bundesrat bricht ein Sicherheitsversprechen», sagt er. Bisher sei er der Meinung gewesen, dass es nötig sei, die Bürgerinnen und Bürger besser zu schützen. Dass der Bundesrat nun auf sein Vorhaben verzichte, um «dem Autokraten im Weissen Haus» zu gefallen, der ohnehin willkürlich agiere, sei «skandalös». «Das ist kein souveränes Verhalten, sondern vorauseilender Gehorsam», sagt Pult. «Da kann man gleich den Gessler-Hut grüssen.» Kommende Woche nehmen Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Guy Parmelin in Washington an der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank teil. Während der Tagung findet auch ein Treffen mit den G20-Finanzministern statt. Die Schweizer Delegation werde die Tagung auch für bilaterale Treffen nutzen, teilte der Bundesrat mit. Wie das Finanzdepartement dem «Blick» bestätigte, wird Keller-Sutter unter anderem US-Finanzminister Scott Bessent treffen. Staatssekretärin Helene Budliger Artieda hatte vergangene Woche Gespräche in den USA geführt. Andere Departemente würden sich derweil wünschen, dass die Schweiz nicht alles auf eine Karte setzt und nur mit den USA das Gespräch sucht, sondern auch mit der EU. Newsletter Der Morgen Der perfekte Start in den Tag mit News und Geschichten aus der Schweiz und der Welt. Weitere Newsletter Einloggen Charlotte Walser gehört seit 2021 zum Bundeshausteam der Redaktion Tamedia. Die promovierte Philosophin arbeitet seit 1995 als Journalistin. Mehr Infos @charlottewalser Fehler gefunden?Jetzt melden.