Die Gehirnerschütterung seiner Tochter kostete 532 Euro. So viel zahlte Frank Bayer für die Magnetresonanztomografie in einer radiologischen Praxis in Bonn. Es war die einzige Chance auf eine schnelle Untersuchung. Dabei hatte Frank Bayer, dessen Namen wir geändert haben, eigentlich alles richtig gemacht. Als seine 17-jährige Tochter nach einem Sturz beim Schlittenfahren Kopfschmerzen und Schwindelanfälle bekommen hatte, waren sie zur Hausärztin gegangen. Diese schickte die gesetzlich versicherte Patientin ins Krankenhaus, wo eine Gehirnerschütterung diagnostiziert wurde. Die Symptome sollten innerhalb einer Woche abklingen. Doch nach zwei Wochen waren die Schmerzen unverändert stark. Die Hausärztin riet zu einer radiologischen Kontrolle und versah den Überweisungsschein zum Facharzt mit einem Dringlichkeitscode. Der Vater wählte die Hotline 116 117, die Facharzttermine für gesetzlich Versicherte vermittelt. Doch der früheste Termin war erst sechs Wochen später zu bekommen. Viel zu spät, fand Bayer: "Bei einer unbehandelten Hirnblutung, die ausgeschlossen werden sollte, wären in dieser langen Zeit schwerwiegende Folgen zu befürchten gewesen." Also versuchte Bayer es direkt bei den Praxen, über den Online-Terminvermittlungsservice Doctolib. Als er dort "privat versichert" auswählte, verkürzte sich die Wartezeit plötzlich auf drei Tage. "Am Empfang legte ich die Überweisung mit dem Dringlichkeitsaufkleber auf den Tresen. Die wurde aber geflissentlich ignoriert." Also zahlte er die Untersuchung aus eigener Tasche. Sie ergab: keine Hirnverletzung. Glück gehabt. Aber Bayer fragte sich anschließend schon, wofür er eigentlich Krankenversicherungsbeiträge bezahlt. Und: "Was bedeutet dieses System für Familien, die sich das nicht leisten können?" Tatsächlich herrscht im deutschen Gesundheitswesen eine Zweiklassengesellschaft. Privatversicherte erhalten schnell Termine, Kassenpatienten warten. Für die Patienten von der Kasse gibt es aber eine Möglichkeit, ebenfalls die Vorteile der Premiumklasse zu erlangen: Sie zahlen selbst. Aus dem Versprechen schnellerer Termine für Selbstzahler hat sich in den vergangenen Jahren ein eigenes Geschäftsmodell entwickelt, das Ärzten höhere Einnahmen garantiert als die Abrechnung über die Kasse. Wer als gesetzlich Versicherter die Kosten selbst übernimmt, wird dafür bevorzugt behandelt. © ZEIT ONLINE Newsletter ZEIT Geldkurs Tschüss, Finanzchaos: In acht Wochen erklären wir Schritt für Schritt, wie Sie bessere Geldroutinen aufbauen und das mit den ETFs endlich angehen. Anschließend erhalten Sie unseren Geld-Newsletter mit den besten Artikeln rund um Finanzen. Registrieren Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis. Vielen Dank! Wir haben Ihnen eine E-Mail geschickt. Prüfen Sie Ihr Postfach und bestätigen Sie das Newsletter-Abonnement. Diese E-Mail-Adresse ist bereits registriert. Bitte geben Sie auf der folgenden Seite Ihr Passwort ein. Falls Sie nicht weitergeleitet werden, klicken Sie bitte hier . Systematische Untersuchungen zu dieser Entwicklung gibt es nicht. Um einen Eindruck davon zu bekommen, befragte die ZEIT ihre Leserinnen und Leser. 381 haben sich im Dezember online auf einen Aufruf gemeldet. Die Ausgangsfrage: Ist Ihnen oder Ihren Angehörigen schon einmal ein Arzttermin angeboten worden, wenn Sie die Kosten dafür selbst übernehmen? Die ZEIT sprach mit einigen der Befragten und konnte auch Rechnungen einsehen. Da es um persönliche Gesundheitsdaten geht, baten alle Beteiligten darum, dass ihre Namen in diesem Artikel geändert werden. Repräsentativ sind ihre Antworten nicht, sie geben aber ein paar Anhaltspunkte dazu, was viele Patienten erleben. Fast ein Drittel der Leser-Berichte betraf Hautärzte: 115 gesetzlich versicherte Leserinnen und Leser gaben an, dort nur als Selbstzahler zeitnah einen Termin erhalten zu haben. Danach folgten Orthopäden (51 Berichte), Augenärzte (31) und HNO-Ärzte (26). Im Schnitt zahlten die Befragten 170 Euro. Fast die Hälfte der ZEIT-Leserinnen und -Leser, die an der Umfrage teilnahmen, sagten, dass sie ihren Termin über Doctolib gebucht hätten. Die Buchungssoftware erlaubt es Praxen, Termine nach Versicherungsart zu priorisieren. Den Ärztinnen und Ärzten empfiehlt die Plattform: "Wählen Sie in jedem Fall den betreffenden Terminkalender, die Terminart sowie die Versicherungsart aus." Mit einem Haken lässt sich festlegen, für welche Versicherten ein Termin buchbar sein soll. Es ist auch möglich, im Kalender Kontingente je Versicherungsart zu bestimmen und Neupatienten zu blockieren. Doctolib schreibt dazu auf Nachfrage: "Die Kriterien für das Anlegen von Terminen bestimmt die jeweilige Praxis." Zwei Klassen Die meisten sind gesetzlich versichert. An Privatpatienten verdienen Ärzte besser Versicherte je System Pro-Kopf-Ausgaben im ambulanten Bereich Durchschnitt für das Jahr 2022 Beamte und andere Beihilfe- Empfänger (meist privat) Privat 1.498,85 € Gesetzlich 5 6 691,29 € % 89 Gesetzlich Privat Wartezeiten gesetzlich Versicherter für einen Termin bei einem Facharzt Am selben Tag 15 % 1 Tag 6 % 2–3 Tage 10 % 4–7 Tage 14 % 8–21 Tage 25 % mehr als 21 Tage 31 % ©ZEIT-GRAFIK/Quelle: WIP / GKV Spitzenverband Zwei Klassen Die meisten sind gesetzlich versichert. An Privatpatienten verdienen Ärzte besser Versicherte je System Beamte und andere Beihilfe- Empfänger (meist privat) Privat Gesetzlich 5 6 % 89 Pro-Kopf-Ausgaben im ambulanten Bereich Durchschnitt für das Jahr 2022 1.498,85 € 691,29 € Gesetzlich Privat Wartezeiten gesetzlich Versicherter für einen Termin bei einem Facharzt Am selben Tag 15 % 1 Tag 6 % 2–3 Tage 10 % 4–7 Tage 14 % 8–21 Tage 25 % mehr als 21 Tage 31 % ©ZEIT-GRAFIK/Quelle: WIP / GKV Spitzenverband Zwei Klassen Die meisten sind gesetzlich versichert. An Privatpatienten verdienen Ärzte besser Versicherte je System Beamte und andere Beihilfe- Empfänger (meist privat) Privat Gesetzlich 5 6 % 89 Pro-Kopf-Ausgaben im ambulanten Bereich Durchschnitt für das Jahr 2022 1.498,85 € 691,29 € Gesetzlich Privat Wartezeiten gesetzlich Versicherter für einen Termin bei einem Facharzt Am selben Tag 15 % 1 Tag 6 % 2–3 Tage 10 % 4–7 Tage 14 % 8–21 Tage 25 % mehr als 21 Tage 31 % ©ZEIT-GRAFIK/Quelle: WIP / GKV Spitzenverband Zwei Klassen Die meisten sind gesetzlich versichert. An Privatpatienten verdienen Ärzte besser Versicherte je System Pro-Kopf-Ausgaben im ambulanten Bereich Durchschnitt für das Jahr 2022 Beamte und andere Beihilfe- Empfänger (meist privat) Privat 1.498,85 € Gesetzlich 5 6 691,29 € % 89 Gesetzlich Privat Wartezeiten gesetzlich Versicherter für einen Termin bei einem Facharzt Am selben Tag 15 % 1 Tag 6 % 2–3 Tage 10 % 4–7 Tage 14 % 8–21 Tage 25 % mehr als 21 Tage 31 % ©ZEIT-GRAFIK/Quelle: WIP / GKV Spitzenverband Zwei Klassen Die meisten sind gesetzlich versichert. An Privatpatienten verdienen Ärzte besser Versicherte je System Beamte und andere Beihilfe- Empfänger (meist privat) Privat Gesetzlich 5 6 % 89 Pro-Kopf-Ausgaben im ambulanten Bereich Durchschnitt für das Jahr 2022 1.498,85 € 691,29 € Gesetzlich Privat Wartezeiten gesetzlich Versicherter für einen Termin bei einem Facharzt Am selben Tag 15 % 1 Tag 6 % 2–3 Tage 10 % 4–7 Tage 14 % 8–21 Tage 25 % mehr als 21 Tage 31 % ©ZEIT-GRAFIK/Quelle: WIP / GKV Spitzenverband Zwei Klassen Die meisten sind gesetzlich versichert. An Privatpatienten verdienen Ärzte besser Versicherte je System Beamte und andere Beihilfe- Empfänger (meist privat) Privat Gesetzlich 5 6 % 89 Pro-Kopf-Ausgaben im ambulanten Bereich Durchschnitt für das Jahr 2022 1.498,85 € 691,29 € Gesetzlich Privat Wartezeiten gesetzlich Versicherter für einen Termin bei einem Facharzt Am selben Tag 15 % 1 Tag 6 % 2–3 Tage 10 % 4–7 Tage 14 % 8–21 Tage 25 % mehr als 21 Tage 31 % ©ZEIT-GRAFIK/Quelle: WIP / GKV Spitzenverband Viele Leser berichten jedoch, dass sie Termine mit kürzerer Wartezeit angezeigt bekamen, wenn sie "privat versichert" auswählten. In einem Doctolib-Forum fragt eine Hautärztin, wie sie mit Kassenpatienten umgehen solle, die sich auf diese Weise einen Termin "erschlichen" hätten: "Abweisen? Behandeln, aber mit Privatrechnung?" Sie will offenbar aus Kassenpatienten Selbstzahler machen. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen kritisiert diese Entwicklung: Vertragsärzte dürften grundsätzlich keine Kassenleistungen privat in Rechnung stellen, sagte eine Sprecherin. Die Kassenärztlichen Vereinigungen müssten "das notwendige medizinische Angebot für gesetzlich Versicherte zeitnah sicherstellen". Auch seien sie für die Aufsicht der Ärzte zuständig.