Gil Ofarim: Schnell mal die Zeit korrigieren
Dinge, die geschehen sind, ließen sich nicht verändern. Und manchmal, da fühle sich das Leben an wie ein Albtraum, aus dem man einfach nur aufwachen will. "Aber man kann trotzdem eins machen: nicht aufgeben", sagt Gil Ofarim am Donnerstagabend mit gesenkter Stimme im Matrix, einer Diskothek in Bochum. Unter seiner engen Lederjacke trägt er ein dunkles Cordhemd, das er weit aufgeknöpft hat, und das den Blick freigibt auf eine Kette mit Davidstern. Mit einer solchen Kette begann im Oktober 2021 alles. Oder auch nicht. Und darin liegt die Schwere dieses Abends, an dem Ofarim sein großes Comeback feiern will. Gil Ofarim ist ein deutscher Musiker, er hat einen israelischen Vater und bezeichnet sich selbst als säkularen Juden. Bekannt wurde er als Teenager, weil er in der Bravo-Fotostory erst einen Musiker mimte und dann tatsächlich einer wurde. Er bekam einen Plattenvertrag, landete in den Charts, spielte im Vorprogramm von Bon Jovi und tourte mehrere Jahre durch Asien. Er nahm an Fernsehshows wie Let's Dance, Schlag den Star und Das große Promibacken teil. Es könnte die Vorzeigekarriere eines deutschen Popstars sein. Wäre da nicht dieses Video, das Ofarim im Oktober 2021 auf Instagram hochlud. Darin beschuldigte er einen Mitarbeiter eines Leipziger Hotels, ihn dazu aufgefordert zu haben, seine Kette mit dem Davidstern abzulegen, wenn er einchecken wolle. Ofarim musste sich wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung vor Gericht verantworten – und gestand schließlich seine Lüge. Dann hat er sich lange Zeit nicht mehr zu Wort gemeldet, zumindest nicht zu den Vorwürfen gegen ihn. Bis vor wenigen Wochen, als er in einem RTL-Interview sagte: "Ich habe die Schuld auf mich genommen, um dem Ganzen ein Ende zu setzen." © ZEIT ONLINE Newsletter Natürlich intelligent Künstliche Intelligenz ist die wichtigste Technologie unserer Zeit. Aber auch ein riesiger Hype. Wie man echte Durchbrüche von hohlen Versprechungen unterscheidet, lesen Sie in unserem KI-Newsletter. Registrieren Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis. Vielen Dank! Wir haben Ihnen eine E-Mail geschickt. Prüfen Sie Ihr Postfach und bestätigen Sie das Newsletter-Abonnement. Diese E-Mail-Adresse ist bereits registriert. Bitte geben Sie auf der folgenden Seite Ihr Passwort ein. Falls Sie nicht weitergeleitet werden, klicken Sie bitte hier . Nun also die Rückkehr auf die Bühne, das Motto heißt wie die jüngste Single: Korrektur der Zeit. Aber kann man eine so große Lüge wirklich korrigieren? Und will Ofarim, wollen seine Fans das überhaupt? Die Zeichen für ein euphorisches Comeback stehen schlecht 18.45 Uhr in Bochum-Langendreer. Vor dem Matrix bildet sich eine kleine Schlange, überwiegend Frauen um die 40, viele tragen praktische Kurzhaarfrisuren und das Handy an einer Kordel um den Oberkörper. Bei Bruno's Imbiss gibt es Pommes-Currywurst für 5,80 Euro. Man hört Dinge wie: "Et ist Wetter!" oder "Wennse mich filzen, findense nur Lippenstift" oder "Sind Bochum und Dortmund dieselbe Stadt?" Aber auch: "Ich hab gezittert, ob er absagt, weil er zu wenig Karten verkauft", oder "Ich bin mal gespannt, was er heute erzählt." Ofarim selbst, aber auch das Matrix, mussten in den vergangenen Tagen viel Kritik einstecken. "Frage mich, wie du da auf der Bühne stehen willst, so ganz ohne Rückgrat!?", kommentierte jemand unter der Konzertankündigung auf Instagram. "Ihr bietet dem Ofarim eine Bühne?", schrieb jemand in den Google-Bewertungen des Clubs. In der Bild berichtete Ofarims Manager, er habe eine Demo anmelden wollen, um sicherzugehen, dass genügend Polizei vor Ort ist – ohne Erfolg. Es handelt sich um eine kleine Location, 200 Leute werden erwartet. Die Zeichen für ein euphorisches Comeback stehen schlecht, bevor überhaupt der Einlass beginnt. Vorsichtige Frage an Pascal aus Herne, einen großen Mann mit Igelfrisur. Welche Erwartungen hat er an den Abend? "Neue Musik", sagt er schulterzuckend. So richtig wichtig ist ihm das Ganze hier nicht, er begleitet nur seine Frau Stefanie, keine Kurzhaarfrisur, seit 31 Jahren Riesenfan von Ofarim. "Vielleicht spricht er endlich mal offen", sagt Stefanie. "Das wäre er uns Fans zumindest schuldig. Wir sind ja immer noch hier." Leider, sagt Stefanie, würde sie Ofarim zutrauen, dass er wirklich gelogen hat, damals auf Instagram. "Ich habe schließlich sein Buch gelesen." Darin gibt Ofarim zu, nie gelernt zu haben, mit Wut umzugehen. Manchmal cholerisch zu sein. Und ein Problem mit Lügen zu haben. "Mit einer Lüge zu leben, das erdrückt dich irgendwann", schreibt er in seiner Autobiografie, die vor dem Vorfall im Leipziger Hotel erschienen ist. Pascal sagt, er könne verstehen, dass Ofarim damals gelogen habe. "Vielleicht hätte ich das auch getan, wenn das Hotel scheiße war", sagt er. Überhaupt, es passierten so viel schlimmere Dinge in Deutschland. Und Friedrich Merz lüge auch die ganze Zeit, und der werde jetzt Kanzler. Stefanie sagt nichts mehr. Vor der Bühne, auf der Ofarim gleich auftreten wird, stehen etwa zehn Frauen, die T-Shirts mit dem Aufdruck "Gil Ofarim Streetteam" tragen. Einige von ihnen haben am Eingang Ansteckbuttons verteilt, "#korrekturderzeit" steht darauf. Das Streetteam hält sich bedeckt gegenüber Journalisten und der Frage, was genau dieses Team sei. "Keine Aussage", sagen sie. Es handelt sich, verrät die Website, um einen "ehrenamtlichen Künstlersupport" und Fanclub mit einem "freundschaftlichen Kontakt und regen Austausch mit dem Künstler". Um kurz nach 20 Uhr wird es dunkel in dem winzigen Saal. Ofarims Band betritt die Bühne und kurz darauf, mit langsamen, fast andächtigen Schritten, auch Ofarim. Er tritt ins Scheinwerferlicht, wirft die langen Haare durch die Luft. Das Schlagzeug knallt, einige zucken erschrocken zusammen, die meisten jubeln. Ofarim heizt sie an, reißt die Hände in die Luft und legt sie auf sein Herz. "Bochum!", ruft er.