Kanada: Ein Schneeball in der Hölle
Der Albtraum, der mich seit einigen Monaten heimsucht, hat seinen Ursprung ausgerechnet in einem glückseligen, idyllischen Abend bei Kerzenlicht. Und ich war nicht mal dabei. Die Sonne war untergegangen, eine leichte Brise wehte vom Ozean her über die Küste Floridas. Auf der Außenterrasse des Anwesens in Palm Beach saß ein Dutzend Gäste um einen Tisch, in dessen Mitte eine silberne Vase mit pfirsichfarbenen Rosen stand. Die Stimmung soll "unbeschwert", sogar "fröhlich" gewesen sein, wie einige Teilnehmer des Essens hinterher in den Medien berichteten. Der Gastgeber sprang manchmal auf und spielte Musik von seinem iPad über die Lautsprecher auf der Terrasse ab, darunter Pavarotti, Leonard Cohens Hallelujah und ein Lied aus dem Musical Cats. Ich habe so gut wie alles gelesen, was über diesen Abend geschrieben wurde. Hier nahm seinen Anfang, was mich derzeit so aufwühlt – und nicht nur mich, sondern, wenn es so etwas gibt, auch die kanadische Seele. Der Gastgeber-DJ war Donald Trump. Die Gäste auf seinem Anwesen Mar-a-Lago: der damalige kanadische Premierminister Justin Trudeau und seine Entourage. Ihre Nervosität wussten sie gut zu verbergen. Einige Tage zuvor hatte der frisch wiedergewählte US-Präsident gedroht, kanadische Produkte mit Zöllen in Höhe von 25 Prozent zu belegen. Diese würden in Kraft bleiben, bis Kanada Drogen und illegal einreisende Migranten erfolgreich von den USA fernhielte. Der kanadische Regierungschef war überstürzt nach Florida gereist. Ihm blieb kaum etwas anderes übrig, als Trump anzuflehen: "Bitte nicht." Am Tisch jedoch wurde freundlich gelächelt. Dabei stand viel auf dem Spiel. Etwas Existenzielles, könnte man sagen. Während des dreistündigen Abendessens sagte Trump an einer Stelle plötzlich etwas Merkwürdiges. Es könnte in dem Moment gewesen sein, als "Mary Trump's Meatloaf" serviert wurde, zubereitet nach einem Rezept seiner verstorbenen Mutter. Oder vielleicht war es auch kurz vor dem Moment, als alle Gäste aufstanden, um in die amerikanische Nationalhymne einzustimmen, die mit einem Mal auf der Terrasse erklang. Allerdings ist der Augenblick, in dem Trump es sagte, gar nicht so wichtig, weil das, was er sagte, so unfassbar war. Trump verkündete, er wolle Kanada zum 51. Bundesstaat der USA machen. © ZEIT ONLINE Newsletter Natürlich intelligent Künstliche Intelligenz ist die wichtigste Technologie unserer Zeit. Aber auch ein riesiger Hype. Wie man echte Durchbrüche von hohlen Versprechungen unterscheidet, lesen Sie in unserem KI-Newsletter. Registrieren Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis. Vielen Dank! Wir haben Ihnen eine E-Mail geschickt. Prüfen Sie Ihr Postfach und bestätigen Sie das Newsletter-Abonnement. Diese E-Mail-Adresse ist bereits registriert. Bitte geben Sie auf der folgenden Seite Ihr Passwort ein. Falls Sie nicht weitergeleitet werden, klicken Sie bitte hier . Eine Aussage, über die ich seit jenem Tag nachdenke. Trudeau reagierte cool. Er schlug vor, Kanada gegen progressive US-Bundesstaaten wie Vermont oder Kalifornien einzutauschen. Trump soll sofort das Thema gewechselt haben. Paul Ruban 42, ist ein frankokanadischer Autor. Er lebt in München und Ottawa. Sein erster Roman Der Duft des Wals, in Kanada ein literarischer Überraschungserfolg, ist soeben auf Deutsch im Aufbau-Verlag in der Übersetzung von Jennifer Dummer erschienen. Die Annexionsbemerkung des Präsidenten wurde von Trudeaus Leuten zunächst heruntergespielt. Was konnte es anderes sein als ein skurriler Witz? "Der Präsident hat uns nur aufgezogen", sagte der kanadische Sicherheitsminister Dominic LeBlanc, der mit am Tisch gesessen hatte, hinterher. "Natürlich war es nur ein Scherz und keinesfalls ernst gemeint." Haha. Witzig, Donald.