Beschämend für das Land!

Dass dieser Koalitionsvertrag ein „kleiner Bestseller“ werden wird, wie Markus Söder bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des „gemeinsamen Werkes“ verspricht, glaubt er wohl selbst nicht. Jeder Satz sei „Politik pur“, schwärmt er und hat wie gewohnt ein paar handfeste Beschreibungsbonbons im Angebot: „neuer deutscher Deal“, „Technik-Attacke“ und so weiter. Natürlich, so Söder, werde es wieder einige Kleinkarierte geben, die sich bei „Zeile 2443“ mehr gewünscht hätten, aber Kompromisse seien eben der Kern jeder Koalition, jedes Verhandelns. Klar. Aber was steht denn, ganz kleinkariert gefragt, in Zeile 2443 des Vertrags? Da geht es um ein Bekenntnis zum Wert der „Forschungsmuseen“ als Hort der „wissenschaftsbasierten Faktenvermittlung“. Dass Söder gerade diese Zeile nennt, ist das Absicht oder Zufall? Immerhin geht es um den Fachbereich Bildung, also das Arbeitsfeld eines zukünftigen CSU-Ministeriums. Vollkommen egal Wahrscheinlich ist es eher keine Absicht, denn mit Wissenschaft, Bildung und vor allem Kultur kann dem Anschein nach niemand der vier Verhandlungsführer etwas anfangen. Schon gar nicht Markus Söder. Nur er hätte wohl Friedrich Merz davon abbringen können, Joe Chialo zum Staatsminister für Kultur zu machen. Offiziell bestätigt ist die Personalie noch ebensowenig wie alle anderen, aber im politischen Berlin gilt Chialo von nun an als gesetzt. Söder war offenbar sowohl die Personalie als auch das dazugehörige Ressort vollkommen egal. Und dieses „egal“ ist es, das sich auch im Kapitel zur Kultur im Koalitionsvertrag mit schallend ohrfeigenhafter Deutlichkeit widerspiegelt. „Da gibt es gerade wirklich sehr viel Wichtigeres“, so lautet hinter vorgehaltener Hand die abwertende Einschätzung vieler, um nicht zu sagen aller amtierenden Spitzenpolitiker. Das ist, so deutlich muss man es formulieren, beschämend für dieses Land. Ein Land, das jetzt nicht einmal mehr als „Kulturnation“, sondern nur noch als „Kulturstaat“ vorgestellt wird – so jedenfalls lautet die sozialdemokratisch weichgespülte Kompromissformel in der Präambel des Kulturkapitels. Die nicht einmal sechs Seiten bieten eine fade Lektüre – vom Bestseller so weit entfernt wie der raketenbegeisterte Markus Söder vom Mars. Es geht um Förderpolitik und gesetzliche Rahmenbedingungen, Erinnerungskultur und Gedenkstättenpolitik. Clubs als Kulturorte anerkannt Wenn man Beteiligte der Arbeitsgruppe „Kultur“ danach fragt, wo die Handschrift des angeblich zukünftigen Staatsministers im Vertrag zu finden sei, dann hört man relativ wenig. Von zwei konkreten Gedenkstätten-Ideen ist die Rede, im Kontext Stasi und Checkpoint-Charlie, ansonsten habe Chialo durchgesetzt, dass Clubs als Kulturorte anerkannt werden. Davon steht explizit nichts im Vertrag, allerdings ist von der Förderung für „emblematische Orte der NS-Täter, der Zwangsarbeit und der SED Diktatur“ die Rede. Überhaupt ist die Abkehr vom Kolonialismus-Schwerpunkt und seine Ersetzung durch eine gestärkte SED-Aufarbeitung einer der wenigen inhaltlichen Signifikanten des Kulturkapitels. Dem Vernehmen nach wurde er vor allem von ostdeutschen Stimmen in der Arbeitsgruppe beworben. Mehr Mäzenatentum Zum Thema Finanzierung beziehungsweise Konsolidierung, für deren willfährige Umsetzung die Personalie Chialo wohl schon bald vor allem stehen dürfte, ist der Satz entscheidend, dass „Kultur-Sponsoring, Mäzenatentum, private Stiftungen und Wirtschaftskooperationen“ in Zukunft „Kultur ermöglichen“ könnten. Geprüft werden sollen im finanziellen Kontext Doppelförderungen und explizit die von Claudia Roth vorangetriebenen, klientelkonzentrierten Prestigeprojekte „Kulturpass“ und „Green Culture Anlaufstelle“. Mit Blick auf die Förderpolitik werden unter anderem eine Fortsetzung der Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz angekündigt sowie eine verlässliche Förderung der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ und des Programms „Kultur macht stark“ versprochen. Beschämend arglos Zuletzt lässt sich als kleine Auffälligkeit das Bekenntnis zu einer Nicht-Förderung von „antisemitischen und rassistischen“ Kulturprojekten hervorheben. Das klingt wie der Versuch einer Neuauflage dessen, was Joe Chialo im Berliner Zusammenhang vergeblich versucht hat. Es bleibt abzuwarten, ob ein solches Vorhaben im nationalen Kontext bessere Chancen hat. Was sich hinter der knapp umrissenen Überzeugung, die KI besitze ein „großes künstlerisches und kulturwirtschaftliches Potenzial“, verbirgt, bleibt schließlich unklar, um nicht zu sagen: beschämend arglos. So ein Satz wird in den Ohren vieler Kunstschaffender, von Synchronsprechern über Musiker bis zu bildenden Künstlern, wohl eher nach einer Dystopie klingen.