Songsterr erstellt per KI recht genaue Gitarren-Tabs aus eigenen Aufnahmen

"Wozu braucht man mich eigentlich noch?" sagt der Musiklehrer und YouTuber Mike Geronsin in einem seiner neuesten Clips. Der versierte Gitarrist, der seit 30 Jahren live spielt und Schüler unterrichtet, hat gerade einige eigene Aufnahmen von klassischen Rock- und Metalsongs mit der Künstlichen Intelligenz von Songsterr in nahezu perfekte Noten verwandelt. Das war in der Welt vor KI in dieser Qualität ein Job für Profis, die nicht nur mindestens ein Instrument spielen können, sondern auch geschulte Ohren und Ahnung von Noten haben. Anzeige Was Songsterr selbst aus schlampig gespielten Songfragmenten macht – heise online hat das selbst ausprobiert – oder aus den vollständigen Aufnahmen eines Profis wie Geronsin, ist schlicht verblüffend. Gerade bei E-Gitarre gibt es eine Vielzahl von Phrasierungen, also: wie man eine Note genau spielt. Auch, auf welcher Saite, und damit in welcher Lage des Halses, kann für die Spielbarkeit und den Klang einen großen Unterschied machen. All das erkennt Songsterr, nur das Abdämpfen der Saiten mit der Schlaghand nahe dem Steg (palm muting) wird häufig ignoriert. Auch das Rutschen über den Hals für schnelle Wechsel der Lage (slides) bei stehendem Ton bekommt die KI nicht immer mit. Spielt man anschließend nach, was der Bot vorgibt, fällt der Fehler aber beim Lernen eines Songs leicht auf. Auch schlechte Aufnahmen funktionieren Wenn jedoch etwa eine Note mit einem leichten Vibrato gespielt wird, in diesem Fall durch die Greifhand, oder ein Flageolette-Ton nur durch leichtes Auflegen des Fingers erzeugt wird, erkennt das die KI. Und sie verwandelt das Spiel auch mit einer unprofessionellen Aufnahme aus einem besseren Diktiergerät vor der Gitarrenbox sowohl in die klassischen Klaviernoten wie in die begehrten Tabs. Diese Tabulaturen sind einfacher zu lesen und erleichtern damit das Lernen des Instruments. Die hohen Töne einer modernen E-Gitarre mit je nach Modell und Stimmung drei bis vier Oktaven Tonumfang kommen in Tabs ohne Hilfslinien aus. Zudem zeigen gute Tabs an, wo auf der Gitarre ein Ton gespielt werden soll (Lage), und nicht nur den Notenwert an sich, sowie Details zur Phrasierung und Intonation. Songsterr erledigt die Notation auf Wunsch auch für Aufnahmen einer kompletten Band und gibt dann einzelne Notationen für Gitarre, Bass, Schlagzeug und den Gesang aus. Bei der Unterscheidung von mehreren Gitarrenspuren trifft die KI jedoch nicht immer die richtige Unterscheidung. Hier empfiehlt es sich, die selbst erstellten Tabs mit schon bestehenden Notationen abzugleichen. Im Vergleich mit anderen KIs, die Notationen erstellen können, ist Songsterr jedoch deutlich überlegen. ChatGPT und Grok etwa fantasieren zwar ähnlich klingende, aber weit daneben liegende Noten auch aus gut erforschten Songs wie "Smells like Teen Spirit" von Nirvana zusammen. Das zeigt Geronsin in seinem Video auf dem Kanal "Art of Guitar". Erfundene Noten passen trotzdem Recht genau ist Songsterr auch bei schwierigerem Material wie "Blackened", einem der schnellsten Songs mit abgehacktem Riffing von Metallica. Mit den einfacheren Riffs aus "Enter Sandman" und "Sad but true" der gleichen Band und "Sweet Child of Mine" von Guns´n´Roses hat heise online das selbst ausprobiert. Die Ergebnisse decken sich mit dem, was man auch aus professionellen Zeitschriften für Musiker als Tabulatur kennt. Die Lagen stimmten in unserem Fall jedoch, wie bei Geronsin, nicht immer. Ab und an gibt es auch eine falsche Note, aber keine unpassende – die KI agiert so, als wäre sie tatsächlich musikalisch. Geradezu lustig wird das Herumspielen mit dem Bot, wenn man sich bemüht, eines der Chaos-Soli der Band Slayer – die sind auch live oft weitgehend improvisiert – aus der Albumversion nachzuspielen. Das klingt dann zwar vielleicht wie Slayer, aber ist im Vergleich mit der Notation doch deutlich anders. Mit der mächtigen KI-Funktion von Songsterr – das auch ohne KI seit Jahrzehnten für Tabs etabliert ist – hat man also ein weiteres Tool zum Lernen und auch kreativen Umgang mit Musik zur Verfügung. Wie auch schon bei den lange beliebten YouTube-Kanälen rund um Gitarre kann das aber einen guten Musiklehrer nicht wirklich ersetzen. Denn die KI sieht – noch? – nicht, wie genau man Saiten greift oder anschlägt und kann keine Tipps für das passende Instrument oder den richtigen Sound geben. Denn das zeigte sich bei unseren kurzen Versuchen auch: Es macht keinen Unterschied, ob man einen Song unverzerrt oder im dröhnenden High-Gain-Gewitter einspielt, Noten und Lage werden gleich erkannt. Voraussetzung ist jedoch immer ein Account bei Songsterr sowie bei YouTube, denn derzeit kann das System nur die Musik aus dort hochgeladenen Videos in Tabs verwandeln. Ohne Premium-Account für 10 US-Dollar im Monat ist die Länge auf 20 Sekunden begrenzt. Anzeige Bei all dem sollte man sich, wie stets bei Musik, aber nicht stur an Noten und Technik orientieren. Selbst erfahrene Gitarristen spielen ihre eigenen Stücke aus verschiedenen Motiven wie Bequemlichkeit oder wegen eines anderen Instruments als dem bei der Albumaufnahme live oft ein wenig anders. Musik lebt eben nur, wenn sie auch lebendig präsentiert wird. (nie)